Selbstzensur aus der Angst heraus

Hongkonger Christen befürchten durch das neue Sicherheitsgesetz Unterdrückung wie in Festlandchina

Gebremster Protest: Vor Demonstrationen wie hier Ende 2019 im Finanzdistrikt Hongkongs schrecken viele jetzt zurück. Foto: pv

Hongkong gilt seit jeher als Brücke zwischen der westlichen Welt und China. Auch nach der Übergabe der vormaligen Kronkolonie an die Volks­re­pub­lik im Jahr 1997, blieb Hongkong eine liberale, rechtstaatliche und moderne Metropole – unter der Maßgabe: ein Land – zwei Systeme. Seit der Verabschiedung des neuen Sicherheitsgesetzes Ende Juni gilt das de facto nicht mehr. Dass dies einen Bruch mit der Vereinbarung zwischen China und Großbritannien darstellt, die Hongkong Autonomie bis 2047 garantiert, spielt für Peking keine Rolle.

Von den 7,5 Millionen Einwohnern Hongkongs sind rund eine Million Christen. Viele von ihnen hatten wie andere auch in den vergangenen Wochen und Monaten gegen das im Jahr 2019 angekündigte Auslieferungsgesetz protestiert, aus Angst, in den eigenen Freiheiten eingeschränkt zu werden. Zudem betrafen die bisher garantierten und durch das neue Gesetz nun torpedierten Grundfreiheiten auch die Religion. Diese Freiheiten sind ein Grund, dass sich eine sehr lebendige christliche Gemeinde in Hongkong entwickelte.

Erlebt hat das Anselm Schäfer aus Billigheim-Ingenheim. Der 28-jährige Student ist schon mehrfach in Hongkong gewesen, zuletzt durchgängig von August 2019 bis Januar 2020. Während seinen Aufenthalten lernte er etliche Hongkonger Christen kennen, war und ist von ihrem Engagement für Demokratie begeistert. Jetzt erlebt er von Deutschland aus, wie sie von einem auf den anderen Tag völlig umdenken müssen, wie sie sich in der Öffentlichkeit äußern.

Einer von ihnen ist Matthew (alle Namen von der Redaktion geändert). Der 26-jährige Hongkonger sorgt sich sehr um die Zukunft seiner Heimatstadt, nicht erst seit Verabschiedung des Sicherheitsgesetzes: „Menschen, die sich für die Demokratisierung Hongkongs einsetzten, laufen Gefahr eingesperrt zu werden.“ So sieht das neue Gesetz vor, dass alle Aktivitäten, die die nationale Sicherheit Chinas bedrohen, unter Strafe gestellt werden. „Was im Einzelfall die nationale Sicherheit bedroht, hat die kommunistische Partei nicht genauer spezifiziert. So können gegebenenfalls friedliche Demonstrationsteilnehmer bereits Gefahr laufen, festgenommen zu werden“, sagt Schäfer. Sogar Bibelzitate könnten als Anstiftung zur Rebellion gelten, etwa dann, wenn darin von Unterdrückung die Rede ist. Ob das tatsächlich so komme, sei jetzt noch nicht klar.

Dennoch: Christliche Gemeinden, die sich für Demokratie und Freiheit einsetzen, könnten ins Visier der Strafverfolger kommen, schätzt Matthew. Er glaubt, dass es nun sehr schwer werden wird, den eigenen Glauben frei zu leben. „Religionen könnten unterdrückt werden, wie in Festlandchina.“

Matthew befürchtet auch andere massive Einschränkungen, etwa das Verbot sozialer Medien wie Instagram, You­tube, Facebook oder Twitter. Schon jetzt wechseln viele der Demokratieaktivisten aus Angst vor Überwachung auf andere Plattformen, verlassen etwa Whatsapp. Es herrscht große Angst und Unsicherheit. Gleichzeitig ist Matthew der Überzeugung, dass es gerade der Glaube ist, der die Menschen weiterkämpfen lässt: „Christen folgen Jesus. Einer seiner Grundsätze ist Gerechtigkeit. Christen, die Ungerechtigkeit sehen, sollen aufstehen und ihre Stimme erheben.“

Allerdings ist die christliche Kirche in Hongkong tief gespalten, hat Anselm Schäfer erlebt. Sinnbildlich dafür stünden der junge Aktivist Joshua Wong, bekanntestes Gesicht des Hongkonger Widerstands, und die von Peking eingesetzte Regierungschefin der Stadt, Carrie Lam. Beide sind Christen. Während sich Wong in den vergangenen Monaten für ein demokratisches und freies Hongkong einsetzte, warb Lam für eine politische Annäherung an das kommunistische China.

Diese Spaltung gehe tief in die christliche Gemeinde hinein, sagt Schäfer. Einige Christen haben in den letzten Wochen und Monaten sogar aufgehört, ihre Kirche zu besuchen, wenn sie zum „Blauen Band“ gehörten, schildert ­Matthew. Zum „Blauen Band“ werden Menschen und Institutionen gezählt, die Peking-treu sind, Polizeieinsätze gegen Demonstranten unterstützen und vor einer amerikanischen Verschwörung warnen. Pastoren des „Blauen Bands“ haben zuletzt offen die Demokratiebewegung und die Rufe nach Reformen kritisiert.

Sehr viele Christen in Hongkong gehörten dem „Gelben Band“ an und unterstützten die prodemokratischen Demonstrationen, sagt Anselm Schäfer. Zum „Gelben Band“ gehört neben dem 23-jährigen Aktivisten Joshua Wong auch der katholische Zeitungsverleger Jimmy Lai, der eine der letzten unabhängigen, Peking-kritischen Zeitungen der Stadt vertreibt. Neben 14 anderen Führungsfiguren der Demokratiebewegung wurde er wegen unautorisierter Versammlung festgenommen. Chinesische Staatsmedien diffamieren ihn seit Jahren als amerikanischen Agenten und Verräter.

Die Spaltung geht jedoch nicht nur durch die Kirchen, sondern auch durch die Generationen, berichtet Schäfer. Vor allem junge Hongkonger seien an eine freie Kommunikation via Facebook und Whatsapp gewohnt, wünschten sich Redefreiheit, Versammlungsfreiheit und die Freiheit, ihren Glauben ohne Angst zu leben. Sie arbeiten in westlichen Unternehmen und genießen das internationale Flair der Stadt. So auch Matthew.

Der 26-Jährige sieht nun die Gefahr, dass junge Menschen vermehrt in Länder wie Taiwan auswandern: „Es ist traurig mitanzusehen, wenn sie ihre Heimat verlassen müssen.“ Die, die bleiben, hat das neue Gesetz jetzt schon das Fürchten gelehrt, berichtet er. Viele haben ihre Posts aus sozialen Netzwerken gelöscht. Dass es in Europa und insbesondere in Deutschland wenig Interesse daran gab, den wichtigsten Handelspartner zu verprellen – auch im Vergleich zu den USA, Großbritannien oder Australien – ärgert viele Hongkonger. Ende Mai hatte der deutsche Außenmister Heiko Maas noch die Wichtigkeit eines Dialogs betont und sah härtere Maßnahmen als nicht zielführend an. „Deutschland ist nicht auf unserer Seite!“, sagt Regina, eine Kollegin Matthews und aktive Christin. Katholische Christen zeigen sich zudem frust­riert, dass sich der Papst nicht äußert zum Sicherheitsgesetz.

Dennoch: Wie Joshua Wong und ­Matthew hat sich Regina entschieden, ihrer Heimat treu zu bleiben. Auch wenn die Zukunft der Kirchen in Hongkong ungewiss ist, wird sie weiter für ihre Rechte kämpfen. Wong teilte jüngst das Bild einer Bibel auf Twitter. In geschwungener Schrift ist zu lesen: „Und ich will übrig lassen 7000 in Israel: alle Knie, die sich nicht gebeugt haben vor Baal, und allen Mund, der ihn nicht geküsst hat.“ Florian Riesterer

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