Die Dokumentation: Ideologisch aufgeladen

Konfliktlinien innerhalb der Debatten um die Rolle des Islam • von Georg Wenz und Emeti Morkoyun

Individuelle Auslegung: Das Tragen religiös konnotierter Kleidung wird auch innerhalb des Islam unterschiedlich aufgefasst. Das Thema birgt Konfliktpotenzial. Foto: epd

Das sich maßgeblich aus der Verfassung herleitende Religionsrecht definiert den Handlungsrahmen von Religionsgemeinschaften und inkludiert die korporative Religionsfreiheit. Kraft ihrer gilt die grundsätzliche Gleichheit aller Religions- und ­Weltanschauungsgemeinschaften im Grundstatus, unabhängig von ihrer Rechtsform. Die Kritik an der öffentlichen Präsenz des Islam, respektive das Bestreben, islamische Religionsausübung und Symbolik auf den Privatbereich zu beschränken, betreffen in ihrem Grundsatz daher alle Religionen und zielen auf ein verändertes Gesellschaft- und Staatsverständnis.

Im Rahmen der säkularen Ordnung werden die Religionen ermutigt, sich auch über ihre eigenen Belange und Religionsgrenzen hinaus gesamtgesellschaftlich zu engagieren. Ihre Sichtbarkeit ist dabei Zeichen ihrer gesellschaftlichen Zugehörigkeit. Insofern bildet religiöse Diversität einen Gradmesser gesamtgesellschaftlicher Integrationsprozesse.

Die Debatten um die Rolle des Islam werden durchzogen von externen und internen Konfliktlinien. Zum öffentlichen Erscheinungsbild des Islam gehören Moscheebau und das Tragen religiös konnotierter Kleidung. Sie verweisen mit der korporativen und der individuellen Religionsfreiheit exemplarisch auf die beiden konfliktträchtigen öffentlichen Dimensionen. Die Auseinandersetzungen zwischen sogenannten liberalen und konservativen Deutungsansprüchen stehen stellvertretend für die internen Konfliktfelder. Beide Bereiche betreffen über den religiösen Raum hinaus die gesellschaftliche Kohärenz. In ihren Konkretionen wie dem lautsprecherverstärkten Muezzinruf oder der Gesichtsverschleierung in öffentlichen Einrichtungen rücken die Aushandlungsprozesse um die Sichtbarkeit des Islam und mit ihnen die Instrumentalisierung der Themen und die ideologische Aufladung der Diskussion mit ins Blickfeld. Letzteren gilt es in all ihren Spielarten entgegenzutreten.

Der Islam in seiner über 14 Jahrhunderte gewachsenen Heterogenität erlaubt eine innere Vielzahl von Strömungen und individueller Religiosität. Dennoch rufen liberale Reformbewegungen wie fundamentalistische Reduktionen regelmäßig Kontroversen über die Deutungshoheit, die religiöse Autorisierung und die Exklusion von Personen, Gruppierungen und Bewegungen hervor. Stellt sich dergestalt auf der Binnenebene die Frage der Zugehörigkeitskriterien zum Islam und bilden die sogenannten fünf Pflichten und sechs Glaubensartikel den Minimalkonsens, erfährt in der Außenbetrachtung die Rede vom „Islam“ eine Wendung, in der dieser selbst als handelndes Subjekt erscheint und darin Objekt von Wertungen wird.

Gleichwohl ist der Islam selbst keine Religionsgemeinschaft. Hierfür bedarf es einer verfassten Institution. Ob die im Land Rheinland-Pfalz organisierten muslimischen Verbände und Vereine sich hinsichtlich ihres Bekenntnisses unterscheiden oder lediglich in ihrer geschichtlichen Genese, muss aus ihrem Selbstverständnis heraus entschieden werden. Die vorliegenden Gutachten zu den islamischen Verbänden sowie die Zielvereinbarungen des Landes mit ihnen legen die Anerkennung als eigenständige Religionsgemeinschaften auch im Falle einer Bekenntnisübereinstimmung allerdings nahe. Dies impliziert, dass künftig weitere bekenntnisgleiche islamische Religionsgemeinschaften entstehen können.

Kriterium der Unterscheidung zu einem religiösen Verein und damit für die Ausübung institutioneller Rechte ist die umfassende Erfüllung der sich aus dem Bekenntnis ergebenden religiösen Aufgaben. Ursache für die potenziell anhaltende dynamische Entwicklung der islamischen Religionslandschaft ist der Verzicht auf einen Zusammenschluss zu einer einheitlichen islamischen Religionsgemeinschaft in Rheinland-Pfalz. Eine solche scheint trotz der Übereinstimmung in theologischen Grundsätzen und Ritus aufgrund unterschiedlicher Prioritätensetzungen ausgeschlossen.

Die Konsequenzen einer Anzahl relativ mitgliedsschwacher islamischer Religionsgemeinschaften für die Erteilung des Religionsunterrichts, der Anstaltsseelsorge, der Wohlfahrtspflege oder des Betreibens islamischer Friedhöfe gilt es indes zu durchdenken – auch vor dem Hintergrund des Kontrasts zwischen den ethnischen, herkunftsbezogenen und spirituellen Kontinuitäten in den künftigen Religionsgemeinschaften und den Anforderungen, die aus der Pluralität der Muslime in Rheinland-Pfalz in den genannten Bereichen hervorgehen.

Die Repräsentanz nicht organisierter Muslime und ihre Einbindung in die Verwaltung religionspraktischer Fragen sowie die Anerkennung von Organisationsformen, die nicht eingespielten Mustern entsprechen, ist damit allerdings noch nicht gelöst. Dagegen legt die Bekenntnisnähe der meisten beteiligten islamischen Verbände den Grundstein, um innerislamischen Kooperationen den Weg zu ebnen.

Die gemeinsame Verständigung auf demokratische Grundwerte, Menschenwürde und Geschlechtergleichheit, wie in den Zielvereinbarungen mit dem Land festgehalten, spiegelt dabei den normativen Anspruch eines modernen Religionsverständnisses wider. An ihm werden die islamischen Religionsgemeinschaften in ihrer Lehre und ihrem Handeln gemessen werden.

Zwei Vereinbarungen stellen für die islamische Theologie und das islamische Recht eine besondere Herausforderung dar: Das aktive Eintreten gegen Diskriminierung aufgrund sexueller Identität und die freie Religionswahl. Auch wenn in den Zielvereinbarungen nicht explizit genannt, geht aus der „Anerkennung des Rechts auf Religionsfreiheit im umfassenden Sinne“ die Achtung der negativen Religionsfreiheit, des Glaubenswechsels und der Freiheit von Glauben hervor. Sure 2:256 könnte in ihrem Verbot religiösen Zwangs einen Anknüpfungspunkt bilden, um dies auf islamischer Seite hermeneutisch zu legitimieren.

Dass es trotz der vermeintlichen apodiktischen Ablehnung frei gelebter sexueller Orientierung in der islamischen Jurisprudenz zu Aufbrüchen in der Praxis kommen kann, belegen öffentliche Diskussionsveranstaltungen der Al Hambra Gesellschaft, die Forderungen des Liberal-Islamischen Bunds nach Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe oder die Tätigkeit homosexueller Imame. Die in den Zielvereinbarungen vertraglich unterzeichnete Förderung der Teilhabe aller in der Gesellschaft impliziert selbstbestimmte Lebensformen und setzt die freie Diskussion in der islamischen Community voraus. Der interreligiöse Erfahrungsaustausch in der Aufarbeitung diskriminierender religiöser Überzeugungen kann dabei ein erster Schritt sein, Tabus aufzubrechen.

Trotz der partiellen Schärfe, mit der das Thema Islam öffentlich diskutiert wird, belegen Einführungsveranstaltungen in den Islam gravierende Lücken im Informationsstand der nicht muslimischen Bevölkerung. Diese Unkenntnis, gepaart mit der Konzentration der öffentlichen Debatte auf den politischen Islam und Terrorismus, bietet ein Einfallstor für Ablehnung, Diskriminierung, mithin Menschenverachtung. Umgekehrt findet sich in den tradierten Gründungsnarrativen des Islam noch immer eine pejorative, zumindest defizitäre Sicht anderer Religionen und ihrer Anhänger und werden insbesondere junge Muslime über Internetforen von einem demokratiefeindlichen Fanatismus geködert.

Ein weiterer Angriff auf die Pluralität stellt die Verbindung von herkunftsbezogenem Nationalismus und religiösem Chauvinismus dar. Die rechtsstaatliche Vertrauenswürdigkeit und Unabhängigkeitsbekundung islamischer Vereine und Verbände entscheidet sich letztlich mit an ihren Reaktionen auf religionspolitische Entwicklungen und Entscheidungen mit hoher Symbolkraft zum Umgang mit anderen Religionen in den islamisch geprägten Bezugsländern. Neben der theologischen Auf- und Abarbeitung der eigenen religiösen Legitimierung kraft göttlicher Korrektur des Vorangegangenen oder vermittels heilsgeschichtlicher Überbietungskonzepte, der Entzauberung falscher Heilsversprechen und ihrer Claqueure und der Beschäftigung mit den über Jahrhunderte hinweg wirkmächtigen Narrativen der Bedrohung und Abwertung bieten interreligiöse Informationsreihen die Chance, verinnerlichte Stereotypen, kollektiv tradierte Vorbehalte und auf Halbwissen beruhende Urteilsbildungen zu entkräften.

Georg Wenz ist Beauftragter für Islamfragen und für Weltanschauungsfragen der pfälzischen Landeskirche. Emeti Morkoyun ist Studienleiterin des Fachbereichs „Gesellschaft gestalten“ an der Muslimischen Akademie Heidelberg i.G. Der gekürzte Beitrag ist Teil des Abschlusspapiers der 2019 gestarteten Werkstattgespräche Islam in Rheinland-Pfalz: www.eapfalz.de. red

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