Schüler kennen die biblische Geschichte in Grundzügen

Otto Wiebe erteilt in Frankenthaler Schulen mennonitischen Religionsunterricht – In Deutschland für kleine Glaubensgemeinschaften erlaubt

Unterrichtet auch an der Friedrich-Schiller-Realschule plus in Frankenthal: Der mennonitische Religionslehrer Otto Wiebe. Foto: Bolte

Mit ihren Zeugnisnoten kann die Mehrzahl von Otto Wiebes Schülern zufrieden sein: Der Religionslehrer vergibt viele Einsen, was keineswegs an seinen niedrigen Ansprüchen, sondern am Vorwissen der Klassen liegt. An den Schulen im rheinland-pfälzischen Frankenthal wird nicht nur evangelischer und katholischer, sondern auch mennonitischer Religionsunterricht erteilt. An dem exotischen Schulfach nehmen Kinder und Jugendliche aus den frommen Familien der örtlichen Brüdergemeinde teil, in denen das Tischgebet vor dem Essen, Gottesdienstbesuch und Sonntagsschule noch ganz normaler Bestandteil des Alltags sind.

„Wenn die Kinder zu mir in den Unterricht kommen, kennen sie die biblische Geschichte schon in Grundzügen“, berichtet Wiebe, der seit Jahren nebenberuflich an den Schulen tätig ist. Die Mennoniten-Brüder, deren Geschichte bis auf die Täuferbewegung der Reformationszeit zurückgeht, hatten schon vor fast 40 Jahren den Eindruck, dass die Grundlagen des christlichen Glaubens im herkömmlichen evangelischen Religionsunterricht nicht mehr ernst genug genommen würden. „Evangelische Religionslehrer halten sich nicht unbedingt an das Augsburger Bekenntnis“, bemängelt der Frankenthaler.

Das Grundgesetz garantiert religiösen Gemeinschaften in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen, nach ihren Glaubensgrundsätzen Religionsunterricht anzubieten. Was zurzeit in vielen Landeshauptstädten mühsam zwischen muslimischen Verbänden und Behörden ausgehandelt wird, ist für andere kleinere Religionsgruppen seit Jahrzehnten Alltag: In mehreren Ländern ist jüdischer Religionsunterricht ordentliches Schulfach, in Bayern gibt es entsprechende Vereinbarungen mit den Alt-Katholiken. Und in Nordrhein-Westfalen legen Schüler mit griechischen Wurzeln sogar ihre mündliche Abiturprüfung im Fach orthodoxe Religion ab.

Die orthodoxen Kirchen mit ihren schätzungsweise 1,5 Millionen Anhängern bundesweit würden gerne viel mehr Religionsunterricht anbieten. Allerdings fehlten die Lehrkräfte, klagt Kerstin Keller von der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland mit Sitz in Dortmund. Orthodoxe Religion werde als Studienfach lediglich an der Universität Münster angeboten und auch dort nur als drittes Fach, was die Studiendauer zwangsläufig in die Länge ziehe und angehende Lehrer abschrecke. Dass der Unterricht meist nachmittags und schulübergreifend stattfinden müsse, mache das Fach wiederum bei den Schülern unbeliebt: „Da steht man schnell in Konkurrenz zu Klavierunterricht und Sportverein.“ Immerhin ermöglicht das deutsche System auch Kindern und Jugendlichen kleinerer Konfessionen, ihre eigenen religiösen Wurzeln zu verstehen.

Der Unterricht untersteht stets der staatlichen Schulaufsicht, qualitative Mindeststandards sollen so garantiert werden. Peter Waldmann, früherer Vorsitzender des jüdischen Landesverbands von Rheinland-Pfalz, hat als Schüler noch Zeiten miterlebt, in denen es dafür kaum Regeln gab. Damals lebten in ganz Mainz nur zwei jüdische Kinder.

Vormittags genoss Waldmann Freistunden im Biologieraum, wenn die Klassenkameraden Religion hatten. „Ich saß dann nachmittags beim Lehrer zum Einzelunterricht im Wohnzimmer, und es gab Krapfen“, erinnert sich der Literaturwissenschaftler. Die jüdischen Religionsstunden beschränkten sich allerdings meist darauf, hebräische Texte lesen zu lernen. Eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Religion sei das eher nicht gewesen.

Auch bei den pfälzischen Mennoniten war der Staat anfangs nicht allzu pingelig. „Da gab es ein erstaunliches Wohlwollen“, erinnert sich Otto Wiebe an den Start des Angebots Ende der 1970er Jahre für zunächst 50 Kinder, „vermutlich hat man im Ministerium gedacht, die werden schon harmlos sein.“ Ein förmlicher Lehrplan für mennonitischen Religionsunterricht wurde erst 1990 eingeführt. Die islamischen Verbände, so viel scheint festzustehen, werden es auf ihrem Weg zum konfessionellen Religionsunterricht schwerer haben. Karsten Packeiser

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