Zwischen Überfluss und Mangel

Woche für Woche wartet auf die Ehrenamtlichen der Pirmasenser Tafel eine logistische Herausforderung

Neujahrsbrezeln für die Tafelkunden (von links): Rüdiger Eble, Egmont Bißbort und Adolf Sereda laden den Laster aus. Fotos: Seebald

Kontrolliert die Haltbarkeit von Milchprodukten: Student Steffen Duckstein.

Kurz nach halb zehn fahren die ersten Kühltransporter vor dem Untergeschoss des Ökumenischen Kindergarten Regenbogenland vor. Sackkarre für Sackkarre rollen grüne Plastikkisten voll Obst, Gemüse, Käse, Wurst, Schokolade und etlichem mehr in die Räume, die die Tafel Pirmasens von der Protestantischen Gesamtkirchengemeinde gemietet hat.

Beate Müller und Sylvia Fernengel sind im „Grünen Salon“, wie sie die Obst- und Gemüseausgabe liebevoll nennen, vorbereitet. Grüne Kisten auf Edelstahltischen warten darauf, gefüllt zu werden. Fernengel hat die Obst-, Müller die Gemüseseite. „So ist es am einfachsten.“ Dann geht es los. Kartoffeln, Karotten, Mandarinen, Maracuja, Kaki. Vieles ist frisch, aber immer wieder ist Schimmliges dabei. Handschuhe sind Vorschrift. Für einen Außenstehenden wirken die Mengen riesig. Die beiden Helferinnen, die schon etliche Jahre dabei sind, geben erste Schätzungen ab. „Salat wird übrig bleiben. Kartoffeln haben wir viel zu wenige.“

Beklagen will sich der Vorsitzende Gerhard Herrmann nicht. Zwar gebe es große Armut in Pirmasens, aber auch viel Solidarität. „Wir sind schon privilegiert“, sagt er mit Blick auf die Finanzspritzen, die die Pirmasenser Tafel durch private Spender, Firmen oder Stiftungen erhält. Geld, das in die Kühlsprinter, aber auch in zehn Kühlschränke sowie eine Gefriertruhe und 500 grüne Plastikkisten geflossen ist. Mindestens 300 sind jeden Dienstag und Donnerstag unterwegs und müssen regelmäßig gesäubert werden. 1,50 Euro kostet das die Tafel – pro Kiste. Eine enorme Summe jeden Monat. Umso mehr freut sich Herrmann, dass der Verein demnächst eine Industriespülmaschine sein Eigen nennen darf.

Wer wie viel an Waren geliefert hat, weiß Bruno Strael. Während die nächsten Kisten anrollen, heftet er im Büro Durchschläge von Lieferscheinen ab, die die Spender – Supermärkte oder Bäckereien – erhalten. Der gebürtige Schweizer ist seit 14 Jahren dabei, war heute als erster im Büro, hat Kaffee gekocht, die Autos vorbereitet. Bis auf Strael arbeiten in den Räumen fast nur Frauen – schließlich sind die Männer in der Regel Waren abholen. Eine Ausnahme sind zwei junge Männer einer Wohngruppe, die von einem Betreuer begleitet, Waren einsortieren – „um sie an den Arbeitsalltag zu gewöhnen“.

Und dann ist da noch Student Steffen Duckstein. Er studiert Kunststofftechnik, hat in diesem Semester Modul „Studium Generale“ belegt. Darin sollen Studierende soziale Kompetenzen für das Berufsleben erlernen. Duckstein hat die Tafel ausgesucht, eine Entscheidung, die ihn jetzt schon prägt. „Ich konnte mir nicht die Mengen an Lebensmitteln vorstellen, die so vor dem Müll gerettet werden. Etwas wegzuschmeißen, überlege ich mir jetzt zweimal.“ Aber auch, dass Armut jedes Alter betreffe, von 20 bis 70, sei ihm bewusst geworden. Vorsitzender Herrmann hofft auf noch mehr Studenten. Die Liste an Freiwilligen ist zwar lang, allerdings sind mehr als 70 Prozent Rentner, sagt der Vorsitzende. Leute fallen immer wieder aus, weil sie krank sind. „Wir haben uns deshalb als Partnereinrichtung beim Fachbereich Angewandte Logistik- und Polymerwissenschaften in Pirmasens beworben.“

Für einen angehenden Logistiker ist die Tafel eine gute Übung. Mittlerweile gibt es zwischen Joghurtpaletten, Toastbrot und Kaffee kaum noch ein Durchkommen. Adventskalender, die zu Jahresanfang ausgemustert werden, stapeln sich, riesige Neujahrsbrezeln schneidet Student Duckstein in zwei Hälften. Noch mehr als eine Woche haltbarer Käse kommt an, der in Teilen für die kommende Woche eingelagert wird. Jeder soll von allem profitieren. Um möglichst gerecht zu sein, ändert sich Woche für Woche die Nummer der Kunden in der Schlange.

Bei Fisch, Fleisch und Wurst schauen sich die Helfer jedes Haltbarkeitsdatum genau an. Die heute ablaufenden Produkte mit Mayonnaise sind den Ehrenamtlichen zu heikel. Ein Balanceakt: Nichts unnötig wegschmeißen, niemanden gefährden. Lebensmittelkontrollen von außerhalb gehören dazu. Bei Nudeln ist das weniger ein Problem. Aber die landen so gut wie nie bei der Tafel, bedauert eine Helferin. Was zu viel ist und nicht lagerfähig, bekommt, falls gewünscht, der Kindergarten ein Stockwerk höher.

Gegen 13 Uhr ist Schichtwechsel. Die „Ladenhüter“ übernehmen. Auf dem Kaffeepausentisch liegen zwei Tafeln Schokolade mit Kirschwasser. „Alles mit Alkohol sortieren wir aus“, klärt Beate Müller auf. Es gebe immer wieder trockene Alkoholiker unter den Kunden. Die wolle man nicht versehentlich in die alte Sucht treiben.

Um kurz vor halb drei sind alle Ausgabeplätze besetzt, die Schlange reicht durch den ganzen Flur. Die erste Kundin zeigt Brigitte Hartmann-Fuhrmann ein orangenes Kärtchen. Darauf ein Vermerk zu den Personen im Haushalt. Eine Erwachsene, zwei Kinder. Hartmann-Fuhrmann nimmt die Tasche entgegen. Grumbeere? Gellerriewe? Zwiwwle? Pilze? Geschichtet wird von schwer nach leicht, nichts soll zerdrücken. Genauso beim Obst. „Dürfen Sie mir die Ananas geben“, fragt die Frau schüchtern. „Klar“, sagt Hartmann-Fuhrmann. „Was weg ist, ist weg.“ Die Menge taxiert sie nach Augenmaß. „Man bekommt ein Gefühl dafür“, sagt Maria Rindchen. Wie auch für die Geschmäcker. Syrer lieben besonders Auberginen und scharfe Peperoni, Wirsing geht besser bei den Deutschen, die dreiviertel der Kunden stellen. Wie kann ich Chicorée verarbeiten? Wie esse ich Litschis? Manchmal betreiben die zwei Frauen auch Aufklärungsarbeit.

Mehr als zwei Stunden später stehen Rindchen und Hartmann-Fuhrmann vor dem verbliebenen Gemüse. Kartoffeln sind aus, genauso Tomaten. Dabei sind die extra in kleine Portionen aufgeteilt worden. „Endivsche, Kopfsalat?“, schlägt Rindchen vor. Die letzte Kundin schüttelt enttäuscht den Kopf. Orangen nimmt sie mit – und stellt sich danach in die Schlange, die zur Ausgabe von Brot, Wurst und Milchprodukten führt.

Hildegard Kischitzki hat ihren Platz im Flur verlassen, an dem sie die Tafelkunden registriert hat. Sie wirkt müde. Ein Drittel der Kunden sei am 2. Januar nicht zur Ausgabe gekommen, weil sie dachten, es sei zu, berichtet die stellvertretende Vorsitzende. „Obwohl wir das nie gesagt haben.“ So blieben die Ehrenamtlichen eine Woche zuvor auf etlichen Waren sitzen. Denn viele Supermärkte hatten zwischen den Jahren Inventur und besonders viel gespendet. Heute wiederum wird es Engpässe geben. Alles ist nicht planbar, obwohl das Team alles daran setzt. Eine Herausforderung eben. Florian Riesterer

E Informationen zur Mitarbeit bei der Tafel Pirmasens unter Telefon 06331/148697 und www.pirmasenser-tafel.de; Informationen zu weiteren Tafel-Initiativen unter www.tafel.de.

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