Mehr als ein kostenloser Haarschnitt

„Barber Angels“ frisieren Bedürftige in Ludwigshafen – Tröster mit Schere und Kamm im Gemeindehaus

„Barber Angels“ frisieren Bedürftige in Ludwigshafen. Foto: Mendling

Engel auf Probe: Tina beim Einsatz der „Barber Angels“. – „Ein Stück Würde zurückgeben“ ist ihre Mission. Foto: Mendling

Maschinen surren, Scheren zwitschern, Haare fallen auf den Boden. An der Wand ein großes Kreuz, darunter Stühle. Am Eingang begrüßt eine Frau in schwarzer Lederweste einen Gast: „Hallo, ich bin Micha, ich habe heute die Aufgabe, dich in unsere Mitte zu holen und dich hübsch zu machen.“

Ein Lächeln huscht über das Gesicht ihres Gegenübers. Micha hüllt ihren Gast in einen schwarzen Umhang, streicht mit ihren Händen durch seine Haare. „Hast du etwas auf dem Herzen?“, fragt sie, als sie Kamm und Haarschneidemaschine zur Hand nimmt. „Wir sind nicht nur Friseure, wir sind auch Seelentröster.“ Micha habe schon so einige Lebensgeschichten erzählt bekommen. „Das muss ich auch erst einmal verarbeiten nach so einem Einsatz“, erzählt die Friseurin, die seit 40 Jahren im Geschäft ist. Sie arbeitet normalerweise in einem Salon in Mannheim.

Heute greift sie in Ludwigshafen-Hemshof ehrenamtlich zur Schere, denn dort feiert die Suppenküche der Apostelkirche ihr 25-jähriges Jubiläum. Zu diesem Anlass hat die Kirchengemeinde ein besonderes Menü kredenzt, während die „Barber Angels“ den Gemeindesaal in einen Friseursalon verwandelt haben – quasi als Geburtstagsgeschenk. Insgesamt acht Engel, darunter auch ein „Make-up-Engel“ sind hier im Einsatz. Ihre Erkennungszeichen sind die schwarze Kluft, die Lederweste mit den Aufnähern und ihr Logo, das sie voller Stolz auf der Herzseite tragen: Kamm, Schere, Rasiermesser und Engelsflügel umgeben mit dem Schriftzug „Barber Angels Brotherhood“.

Tina ist ein „Engel auf Probe“: Die junge Friseurin kommt selbst aus dem Hemshof und kennt die Not der Menschen. „Ich möchte helfen“, erzählt sie, während sie einem Gast den Nacken ausputzt. „Geld habe ich nicht, aber ich habe meine Hände, meine Ausbildung und kann meine Zeit zur Verfügung stellen.“ Wenn sie ihre ersten Einsätze verkraftet habe, dürfe sie ein echter „Barber Angel“ werden. „Ich will Angel werden, weil ich den Menschen ein Stück Würde zurückgeben will.“

Auch die Gäste spüren, dass sie heute mehr als nur einen kostenlosen Haarschnitt bekommen: Die Begegnung mit den „Barber Angels“, das Gespräch auf Augenhöhe und die Zuwendung haben einige zu Tränen gerührt. „Ich bin sprachlos“, meint eine Frau, als sie den Umhang gelöst bekommt. „Vielen lieben Dank!“, bringt sie gerade noch heraus und bedankt sich bei ihrem Engel mit einer Umarmung. Erhobenen Hauptes verlässt sie das Gemeindehaus der Apostelkirche – mit weniger Haaren als vorher, aber mit sichtbar mehr Selbstwertgefühl. Stefan Mendling

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