Die Dokumentation: Sitzen nach Rang und Geschlecht

Historische Sitzordnungen im Gottesdienst der pfälzischen Kirchengemeinden

Reserviert: Präparandenbank in der protestantischen Kirche Queichheim. Foto: Jakobs

An einem Gottesdienst teilzunehmen und sich den Sitzplatz frei auszusuchen, gehört zu den Individualitätsmerkmalen der Gegenwart. Allein Kasualien scheinen noch geeignet, die freie Sitzwahl im Kirchengebäude einzuschränken: „Reserviert für Gäste“, „Reserviert für Familie XY“, solche Hinweiszettel, vornehmlich für die ersten Sitzreihen im Gottesdienstraum, sind ebenso bekannt wie gelegentliche Schilder, die auf die Präparanden- und Konfirmandenbänke hinweisen.

In historischer Perspektive war allerdings eine Egalität des Sitzplatzes unvorstellbar. Detaillierte Sitzordnungen für den evangelischen Gottesdienst geben hiervon Zeugnis. Die meisten von ihnen wurden zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert erlassen. Dass Pfarrer oder Presbyterium an hervorgehobener Stelle im Kirchenraum saßen beziehungsweise sitzen, lässt sich noch immer in zahlreichen Kirchengebäuden in der Evangelischen Kirche der Pfalz ablesen.

Dass manches mittelalterliche Chorgestühl seine Zweitverwendung als Presbytergestühl fand, ist bekannt, zum Beispiel aus Franken. Auch Fürsten- und sonstige Adelsstühle oder -logen haben sich in großer Zahl im evangelischen Kirchenbau erhalten, ebenso in der Pfalz. Um dergleichen soll es hier aber nicht gehen. Vielmehr sollen die „allgemeine“ Ordnung der Plätze für das „Kirchenvolk“ und der Aussagewert dieser Ordnung für die Gottesdienstkultur in den Fokus gerückt werden.

Sitz- oder Kirchenstuhlordnungen können als Teil der Kirchengemeindeordnung gelten. Entstanden sind viele Sitzordnungen erst infolge der vollständigen Bestuhlung protestantischer Kirchenräume im 16. Jahrhundert. Der Bedarf an Bestuhlung des gesamten Gotteshauses war mit den langen Predigten entstanden, während es Kirchenstühle im Mittelalter im Wesentlichen nur für Hervorgehobene gegeben hatte. Das Kirchenvolk stand oder kniete auf dem bloßen Kirchenboden. Sitzordnungen für die evangelische Gemeinde sind in der Pfalz gut überliefert, zum Beispiel für Lambrecht, Rhodt, Ilbesheim, Edenkoben und Landau.

Häufig sind solche Ordnungen die Folge eines Stuhlstreits gewesen. Wem gebührt welcher Kirchenstuhl, wer ist durch die Nähe seines Stuhls zum „Zentrum“ des Kirchenraums, zu Altar, Kanzel und Pfarrstuhl, privilegiert? Sitzordnungen wollen Streit eindämmen und damit die Ordnung im Gottesdienst gewährleisten.

Ein Stuhlstreit war nachweislich der Anlass für zahlreiche pfälzische Kirchensitzordnungen, so für Hornbach und für Ilbesheim, so für Edenkoben, worüber bereits Alfred Hans Kuby berichtet hat. Dort waren es die Frauen, die miteinander um die besten Plätze konfligierten. Genauso verhielt es sich in Leinsweiler. Es bedurfte der Sitzordnung vom 2. Juni 1746, um einen jahrelangen Streit zu beenden: „Zur Verhütung kräfftigen Gezänks und Streitigkeiten, so bisher und noch kürzlich in denen WeiberStühlen hiesiger Kirche wegen des oberen Sitzes, zum größten Ärgerniß der Gemeind und fremder Leuthen.“

Die zur Streitbeilegung erlassene Edenkobener Ordnung lässt sich als Spiegel der damaligen Gesellschaftsordnung verstehen. Was in der Gesellschaft ungleich war, sollte auch im Gotteshaus nicht gleich-gültig sein. Dasselbe gilt für Ottweiler bei Neunkirchen, unweit der Westgrenze des pfälzischen Kirchengebiets gelegen. Die Ottweilerer Sitzordnung aus der Zeit um 1750 differenziert nach Geschlecht, Alter und Stand. Die vorderen Reihen rechts neben dem Altar waren für die ältesten männlichen Bürger bestimmt. Ihnen gegenüber hatten die ältesten Frauen ihren Platz. Das Kirchenschiff teilten sich die Frauen der Stadt mit ihren Töchtern auf der einen Seite, die Frauen aus den – zur Parochie gehörigen – Landgemeinden auf der anderen.

Es fand also eine Separation nach Herkunft beziehungsweise Wohnort – und sozialem Stand – statt, die sogar noch weiterging: Ortsfremde, die am Gottesdienst teilnehmen wollten, wurden auf eine Bank auf der Orgelempore verwiesen. Wer nicht zur Parochie gehörte, wurde kritisch beäugt. Besonders traf dies Dienstboten und junge, umherziehende Handwerker. Teilweise wurden diese nur bei Vorlage eines „Beicht- und Abendmahlscheines“ ihrer Herkunftsgemeinde zum Abendmahl in ihrer Aufenthaltsgemeinde zugelassen.

Einen „Klassiker“ in den Sitzordnungen bildet das Gebot der Geschlechtertrennung – Frauen und Männer sollten aus Gründen der Schicklichkeit nicht in einer Bank sitzen. Daher saßen häufig die Männer auf den Emporen, die Frauen unten im Kirchenschiff, im „Parterre“. Gab es keine Emporen, legten die Sitzordnungen großen Wert darauf, dass die ledigen jungen Männer und die Knechte von den jungen Mädchen möglichst weit weg platziert wurden. Die Sitzordnung wirkte sich auf die Abendmahlsordnung aus: Frauen und Männer traten getrennt zum Tisch des Herrn.

Der Aspekt der Schicklichkeit war über lange Zeit verhaltensbestimmend in der Gesellschaft gewesen und hat daher Niederschlag in den erwähnten kirchlichen Sitzordnungen gefunden. Von Reformgemeinden abgesehen, findet noch heute eine Trennung nach Geschlechtern in Synagoge und Moschee statt. Für die Edenkobener Synagoge sind Sitzpläne mit Namenseintragungen aus dem Jahr 1844 überliefert, und zwar jeweils ein Plan für den Männerteil und für die Frauenempore.

Abgeschlossen sei die Bestandserhebung mit einem Bericht aus dem 19. Jahrhundert über Schiersfeld bei Obermoschel: Über der Eingangstür „ist die Empore mit der Orgel und den Bänken für die erwachsenen Burschen, rechts unten beim Eingang sind die Männer- und links die Weiberstühle, ihm gerade gegenüber die Kanzel und vor derselben der Altartisch auf einem Podium … Dem Pfarrstuhl gegenüber sind 2 Stühle für die konfirmierten Knaben, an welche sich noch ein Bubenstuhl anschließt.“ Mit „Stuhl“ ist in Schiersfeld kein Einzelstuhl, sondern eine Bank gemeint, wie beim „Pfarrstuhl“ oder „Herrschaftsstuhl“ auch.

Darf ein Kirchenstuhl vom Nutzer verändert, also umgebaut werden, etwa mit Türen und Armlehnen versehen („hervorgehoben“) werden, darf er von ihm verkauft werden, damit ihn ein anderer Hausstand, eine andere Familie in der Kirche nutzen können, ist der Kirchenstuhl vererblich? Auch solchen Fragen widmen sich die Stuhlordnungen. Das kann man gut nachvollziehen: Wer bestimmt, wer wo und wie in der Kirche sitzt, hat direkt oder indirekt Einfluss auf die Atmosphäre des gottesdienstlichen Geschehens, ja des Gemeindelebens. So bildet die Erbgangsregelung den wesentlichen Inhalt der Lambrechter Ordnung von 1767. Dementsprechend konnten die Sitzordnungen zwischen freien Sitzen und festen Sitzen, zwischen Kauf-, Pacht- und Erbsitzen differenzieren. Erbsitze wurden in der Regel an die männlichen Erben weitergegeben.

Bei alledem ging es auch ums Geld. In Landau waren jährliche Abgaben für die Sitzplätze in der Stiftskirche zu entrichten, gestaffelt für die „besseren“, die „mittleren“ und „die übrigen“. Es gab auch andere Lösungen (Kauf statt Pacht): Ein fester Platz musste von der Gemeinde gegen Gebühr („Stuhlgeld“) erworben werden. Wurde der Kirchenstuhl an Dritte verkauft, hatte die Gemeinde Anspruch auf die Hälfte des Kaufpreises (Rhodt) – eine Einnahmequelle vor Einführung der Kirchensteuer. Selbstverständlich wurde über diese Sachverhalte ein Register geführt, das sogenannte Stuhlregister, und wurden Quittungen ausgestellt. Das Register war ein Beweismittel. Auch eine meistbietende Versteigerung von Kirchenstühlen ist bekannt. Der Kirchenstuhl wurde Handelsgegenstand. Nur Erbsitze waren davon ausgeschlossen.

Das späte 19. Jahrhundert läutete in den Kirchengemeinden das Ende der offiziellen Sitz- und Stuhlordnungen ein. Sie passten nicht mehr in die Zeit, schon gar nicht in die Phase der organisatorischen Trennung von Staat und Kirche, der Trennung von „Thron und Altar“, was zumindest die Amts- oder Offizialstühle betraf. Peu à peu wurden die Stuhlordnungen auch für die Privatstühle aufgehoben, in ländlichen Gemeinden später als in städtischen. Die Kirchenstuhlordnung von Rhodt endete erst vor etwa 80 Jahren. Gleichwohl haben sich dort einige Namensschilder erhalten, auf der Empore und im Chor, und geben von der einstigen Kirchenstuhlordnung ebenso Zeugnis wie einige Gestühle mit Fächern für Gebetbücher, die Bessergestellten vorbehalten waren. Noch heute zeigt das Edenkobener Emporengestühl eine Fülle historischer Namenseintragungen.

Doch alles ist auch heute noch nicht vorbei. Das geltende Recht der pfälzischen Landeskirche weiß von der Bedeutung des ehrenvollen Sitzes. Daher regelt der Beschluss der Kirchenregierung „Ehrenpresbyterinnen und Ehrenpresbyter“ vom 9. Juli 1998: „Soweit in Gottesdiensträumen ein Presbyteriumsstuhl vorhanden ist, behält die Ehrenpresbyterin und/oder der Ehrenpresbyter das Benutzungsrecht.“

Dr. Uwe Kai Jacobs ist Kirchenjurist der Evangelischen Kirche in Baden und Honorarprofessor an der Universität Mainz. Der Beitrag erschien in den Blättern für pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde, Jahrgang 86/2019.

Meistgelesene Artikel