Der Ostermorgen soll klingen

Die Corona-Pandemie hebelt die Osternachttraditionen der Posaunenchöre aus – Kreative Alternativen

Muss dieses Jahr ausfallen: Das Blasen des Posaunenchors Freinsheim am frühen Ostersonntagmorgen auf dem Friedhof. Foto: pv

Es ist dies mit eines der eindrücklichsten Ereignisse aus dem familiären Erinnerungsschatz: Während die Nachbarschaft noch im Tiefschlaf verharrte – Sonntagmorgen, vor Sonnenaufgang –, musste man die schlaftrunkenen Knirpse, gerademal im Grundschulalter, irgendwie aus dem Bett und in die Montur kriegen. Aufpassen, dass sie Choralbuch, Notenständer und Instrumente – Trompete, Posaune – beieinander hatten. Und dann raus in den oft genug pudelmützenkalten, dunklen Morgen Ende März oder Anfang April. Richtung Winzinger Lutherkirche. Wo es galt, einen erwachenden Ostersonntag mit einer nachhaltig bewegenden Auferstehungsfeier zu begrüßen.

Jetzt, nach mehr als 30 Jahren, gedenken die Kleinen von damals fast wehmütig dieser besonderen Momente. Was für ein schüttelfrostiger Auftritt im schlecht beheizten Kirchenschiff, aber dennoch: in welch emotionale Aura gebettet. Schon während des Einblasens in der Kirche lugte verstohlen der aufbrechende Tag durch die Ritzen, schob sich ganz unmerklich die Sonne aus den Untiefen des Horizonts in Richtung Himmel. Es wurde lichter und lichter. Und als allmählich die Gottesdienstbesucher eintrafen, die Bänke sich füllten, die Bläserchoräle kraftvoll in die Kuppel des Gotteshauses aufstiegen, wurde das Mysterium der Auferstehung plötzlich fast körperlich spürbar. Auch die Nachwuchsbläser waren mit sichtlichem Ernst bei der Sache. Und zogen prächtig mit bei den Großen im Posaunenchor Hambach-Winzingen. Danach ging’s ins Freie zum Choralblasen rund ums Osterfeuer. Und dann kam das Allerschönste: Das Osterfrühstück mit der Gemeinde, zu dem alle etwas beisteuerten, und bei dem es stets ausgelassen und geschwätzig zuging.

Traugott Baur – damals war er gerade Landesposaunenwart der Landeskirche geworden – pflegt diese Tradition als Leiter der Bläserformation Hambach-Winzingen seit 35 Jahren, zu Anfang in der Winzinger Kirche, danach im Gemeindezentrum Branchweilerhof Neustadt. Beginnend um 5 oder um 6 Uhr, je nach Sonnenstand.

Freilich: In diesem Jahr, dem Jahr Corona, ist alles anders. Nichts davon wird stattfinden, außer in den erinnerungsseligen Köpfen der Akteure. Und auch in der Gemeinde werden nicht wenige die Ostermorgenfeier des Vorjahrs in Gedanken Revue passieren lassen, innerlich nachhören.

Dass dem Auferstehungsfest mit seiner fundamentalen Botschaft gerade Posaunenklänge die Würde, Nachdruck und Glorie verleihen – wen sollte das wundern? Sie sind sozusagen die Herolde, Fanfarenträger der Frohen Botschaft. Und haben ihre Traditionen fest in ihren Gemeinden verankert.

Beim protestantischen Posaunenchor in Elmstein-Appenthal, der sein 70-jähriges Bestehen feiert, pflegt man den „Osterweckruf“: Bläserinnen und Bläser versammeln sich um 7 Uhr am Appenthaler Glockenturm zum Choralspiel. Sie ziehen dann weiter zum Dorfplatz und zum Friedhof; österliche Standkonzerte und, wie Matthias Vorstoffel informiert, stets mit vielen Zuhörern. In diesem Jahr hätte Landesposaunenwart Christian Syperek die Elmsteiner am Ostersamstag zudem gerne mit seiner Auswahlformation bei einem Konzertgottesdienst beglückt. Aber auch das hat das Virus in die Schranken gewiesen. Zumindest am Glockenturm soll der Weckruf in diesem Jahr ertönen, dargeboten von vier Familienmitgliedern der Chorleiterin Christa Rottmayer. „Wir freuen uns, wenn viele Appenthaler ihre Fenster öffnen und zuhören.“

Christian Syperek spielt hoch über den Dächern

Der Posaunenchor Friedelsheim-Gönnheim wiederum tritt für gewöhnlich um 8 Uhr in einem Gottesdienst auf. Das Weckblasen ist ein Ereignis quer durch die Orte; in einem Jahr ist Friedelsheim, im nächsten Gönnheim an der Reihe. Das Osterfrühstück ist jeweils geselliger Abschluss. In Oggersheim, wo Dorothea Palm seit etlichen Jahren den Posaunenchor leitet, trifft man sich am Ostersonntag normalerweise um 7 Uhr auf dem Friedhof, ebenso in Freinsheim, wo ihr Ehemann Martin Palm Pfarrer ist. „Beide Ostermorgenfeiern sind stets sehr gut besucht, nicht nur von Menschen, die dort die Gräber ihrer Lieben pflegen“, versichert Palm. Aber selbstredend: In diesem Jahr werden die Verstorbenen unter sich bleiben. Ein paar Kilometer weiter auf der Weinstraße Richtung Norden, in Kallstadt, gestaltet Pfarrer Oliver Herzog, der selbst Bläser ist, normalerweise die Stationen eines Kreuzwegs mit Text und Musik, begleitet vom Posaunenchor Weisenheim.

Aber diesmal ist eben alles ganz anders. Allmählich, zuweilen auch in dramatischer Hektik von Stunde zu Stunde, trudelten die Direktiven, Ratschläge, bis hin zu Restriktionen ein. Konnte man vor drei Wochen, nachdem die Gottesdienste bereits eingefroren waren, noch von Auftritten kleinerer Formationen im Freien ausgehen, wurde schließlich klar, dass es diesmal keine von Bläsern begleiteten Auferstehungsfeiern geben würde.

Jetzt bleibt nurmehr das Zeichensetzen, das Präsentbleiben, die Botschaft, das „Hoffnung geben in schwerer Zeit“. Viele Bläser machten sich auf zu Altenheimen, Kliniken und nach da, wo sich vor allem alte Menschen von jetzt auf nachher in der absoluten Isolation befinden. Viele dieser Ständchen – nach dem Vorbild der italienischen Balkon-Troubadours beiderlei Geschlechts – im Quartett oder auch nur im Duo zelebriert – setzten kleine klingende Ausrufezeichen der Hoffnung.

Nach jetzigem Stand können allenfalls noch Solisten unterwegs sein – oder wie Landesposaunenwart Christian Syperek allsonntäglich, hoch über den Köpfen der Menschen, auf dem Turm der Landauer Stiftskirche. Für Ostersonntag plant er dort – in gehörigem Abstand – gemeinsam mit dem Kandeler Bezirkskantor Wolfgang Heilmann ein österliches Bläser-Event, mit Dacapo vom Kandeler St. Georgsturm: „Ich denke, es ist in schwerer Zeit wichtig, kleine Zeichen der Hoffnung und Verbundenheit zu setzen.“ Und die anschließende Serenade vor dem Landauer Bethesda liegt ihm da besonders am Herzen. Gut zu wissen: Es wird zwar anders, bescheidener, schlichter klingen, dieses Auferstehungsfest 2020. Aber es wird klingen! Gertie Pohlit

Musizieren für die Mitmenschen

Matthias Lambrich vom Posaunenchor Hambach-Winzingen hat es dieser Tage angeregt, Christian Syperek hat es in die Runde der Pfälzer Bläsergemeinde gegeben: „Wenn ihr als Posaunenchor aus gegebenem Anlass nicht mehr auftreten könnt, dann macht aus der Not eine Tugend – seid mutige Solisten!“

„Wer kann und mag, nehme Instrument und Choralbuch und spiele um 18 Uhr vor dem Alten- oder Pflegeheim oder einem Krankenhaus – wo auch immer Mitmenschen nicht mehr besucht werden dürfen. Oder spielt auf dem Balkon oder vor eurem Haus für die Nachbarn in eurer Straße.“ Lambrich nennt das Beispiel der Italiener, die trotz des schweren Pandemie-Verlaufs auf ihren Balkonen singen. Wenn sich viele dieser Idee anschließen, so Lambrich, könne das ein Stück Ermutigung sein für alle, die gerade jetzt Großes leisten müssten. Und ein klingender Lichtstrahl ins Dunkel der Alterseinsamkeit. Alles leider unter dem Vorbehalt, dass nicht weitere Einschränkungen nötig werden. gpo

> Bundesweite Aktion für alle Bläser unter www.posaunenarbeit.de

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