Debatte über Israel wird unredlich geführt

von Klaus Koch

Klaus Koch

Zwei Konsequenzen aus den Menschheitsverbrechen der Nationalsozialisten sind für Deutschland eindeutig klar: Das Land hat eine besondere Verantwortung für das Schicksal der Juden, und es ist verpflichtet, seine Stimme zu erheben, wo immer auf der Welt Menschenrechte verletzt und Minderheiten unterdrückt werden. Das führt zwangsläufig zu einem Dilemma, wenn das Unrecht von Juden ausgeht. Und selbst der größte Israelfreund kann nicht bestreiten, dass das Land die Rechte der Palästinenser seit Jahrzehnten missachtet.

Besonders in der evangelischen Kirche führt diese Konstellation zu heftigen Debatten, die nicht immer angemessen ausgetragen werden. Die Unterstützer Israels und die Unterstützer der Palästinenser bedienen sich zu oft luzider Polemik. Sie verharmlosen die Verbrechen einer Seite und rechtfertigen sie mit den Taten der anderen Seite. Beide Seiten überbieten sich zudem mit historischen Schuldzuweisungen aus der Gründungszeit des Staates Israel, die, je nach Sicht der Dinge, heutiges Unrecht relativieren sollen und heutige Opfer – auf welcher Seite auch immer – ins Unrecht setzen. Der heute im nahen Osten lebenden Generation ist damit wenig gedient.

Dabei wäre gerade der Auftrag von Christen ein völlig anderer. Sie dürfen nicht ständig verbal aufrüsten, gleich Antisemitismus schreien, wenn Israel kritisiert wird und den palästinensischen Terror auf ein paar steinewerfende Kinder reduzieren. Zudem gehört es zu den Grundpfeilern intellektueller Redlichkeit, in sich selbst stets den Verdacht wachzuhalten, auch der andere könnte einmal recht haben.

So wie die Debatte geführt wird, leistet sie vor allem Juden und Muslimen in Deutschland einen Bärendienst. Ihre prekäre Lage gerät völlig aus dem Blick. Während Antisemitismus und Islamophobie ständig zunehmen, munitionieren die hoch gebildeten Debattenredner beider Seiten mit ihrer unversöhnlichen Argumentation die dumpfen Geister, die in Deutschland gegen Juden oder Muslime hetzen. Dadurch konterkarieren sie gemeinsam in der Praxis die Absicht, die sie theoretisch für sich in Anspruch nehmen: einen Beitrag zum Dialog und zur Lösung des Problems zu liefern.

Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ist längst in Deutschland angekommen. Deshalb ist es nicht die vorrangige Aufgabe, die historische Situation im Nahen Osten nach dem Zweiten Weltkrieg zu analysieren, sondern die Gesprächsbereitschaft und den Verständigungswillen heute in Deutschland lebender Araber und Juden zu fördern. Gerade wenn Christen mit der Gottesebenbildlichkeit aller Menschen und ihrer daraus erwachsenden unantastbaren Würde argumentieren, sollten sie dies in Betracht ziehen und nicht einzig danach trachten, eine Debatte als Sieger zu verlassen. Denn wer dies tut, bleibt gedanklich hermetisch und ist dazu noch beschämend unchristlich.

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