Provokation bis weit über die Schmerzgrenze

von Florian Riesterer

Florian Riesterer

„Mein Körper, definierter als von Auschwitzinsassen“: Was Kollegah und Farid Bang im Song „0815“ auf ihrem jüngsten Album rappen, ist geschmacklos, menschenverachtend und antisemitisch. Insofern wundert der Aufschrei nicht, als beide vor wenigen Tagen just am Holocaust-Gedenktag in der Kategorie „Urban Hip-Hop“ den Musikpreis „Echo“ verliehen bekamen. „Einfach widerwärtig“, twitterte Außenminister Heiko Maas noch am Abend der Preisverleihung; der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, das Internationale Auschwitz-Komitee und der Limburger katholische Bischof Georg Bätzing äußerten Kritik an der Entscheidung.

Die hatte sich der Bundesverband Musikindustrie (BMVI) als Veranstalter nicht einfach gemacht und – nachdem die Bildzeitung aktiv geworden war – im Vorfeld bereits den erst 2013 seit der Debatte um die Band „Frei.Wild“ gegründeten „Echo“-Beirat eingeschaltet, in dem unter anderem Klaus-Martin Bresgott aus dem Kulturbüro des Rates der EKD sitzt. Der Beirat missbilligte zwar die Sprache und die Aussagen im Song, entschied sich aber für eine Nominierung im Sinne der Kunstfreiheit und appellierte gleichzeitig, die Grenzen eben dieser auf breiter gesellschaftlicher Front zu diskutieren. Florian Drücke, Vorstandsvorsitzender des BVMI, entledigte sich eines Teils der Verantwortung, indem er betonte, die Kritik an der Preisvergabe entzünde sich doch eigentlich am wirtschaftlichen Erfolg des Albums. Die „Echo“-Nominierungen basieren alleine auf den Verkaufszahlen, die außerdem zur Hälfte in die Wahl hineinfließen.

Tatsächlich stellt sich die Frage, warum die gewaltverherrlichenden, homophoben, frauenverachtenden und antisemitischen Songs der beiden Deutsch-Rapper solchen Erfolg haben. Der Preis für Kollegah ist schon der vierte „Echo“ in seinem Regal. Die Käufer sind nicht alle automatisch Antisemiten, viel eher begeistern sie sich für die Provokation. Kollegah und Farid Bang nutzen wie viele andere in der Deutsch-Rap-Szene Tabubrüche, um maximale Aufmerksamkeit zu erzielen. Ob sich also hinter der aggressiven Sprache des Battle-Rap eigene Meinung oder verkaufsfördernde Provokation verbirgt, ist schwer zu entscheiden. Fakt ist, dass sich „Jude“ als Schimpfwort an deutschen Schulen wieder etabliert hat und antisemitische Ressentiments zunehmen.

Ob der Rap der Gesellschaft in diesem Fall den Spiegel vorhält oder die ungute Entwicklung beeinflusst – beides wäre problematisch. Der BMVI appelliert an die Politik, eine Institution zu bestimmen, die eine Plattform zur Auseinandersetzung mit den Grenzen der Kunstfreiheit schafft. Doch zuerst sollten der angekündigten Erneuerung des Verfahrens bei der Preisvergabe des „Echo“ Taten folgen. Denn eine Plattform für menschenverachtende Tabubrüche braucht niemand. Dass erste Künstler ihre Auszeichnung zurückgeben, ist eine gesunde Reaktion.

Meistgelesene Leitartikel & Kommentare