Gesundheit muss Privatsache bleiben

von Martin Schuck

Martin Schuck

Die Zitteranfälle von Bundeskanzlerin Merkel bei öffentlichen Auftritten scheinen für einige Journalisten ideal zur Füllung des Sommerlochs. Diesen Eindruck kann man beim Lesen ansonsten seriöser Zeitungen und beim Blick auf Nachrichtensendungen gewinnen. Das Anstößige sind weniger die Bilder, die schließlich gezeigt werden müssen, wenn die Kanzlerin etwa einen Staatsgast empfängt, sondern das hemmungslose Spekulieren über ihren Gesundheitszustand, meist mit der Frage, ob sie noch in der Lage sei, ihr Amt auszuüben (Seite 8).

Dabei sollte jeder Journalist wissen, dass die Gesundheit eines Menschen dessen Privatsphäre ist, und auch die Verantwortung darüber, ob man fähig ist, ein übertragenes Amt zu führen, muss der jeweilige Amtsträger für sich selbst beantworten. Eine makellose Gesundheit hat bisher noch nie zu den Hauptkriterien gehört. In der Vergangenheit gab es nämlich immer wieder Politiker, von denen bekannt war, dass sie an einer Erkrankung litten. Ein Beispiel dafür ist Willy Brandt, der in seiner Zeit als Bundeskanzler wegen anhaltender Depressionen oft wochenlang keine Termine wahrnahm. Die Frage, ob er sein Amt noch ausüben könne, wurde dennoch nie offen gestellt.

Unvergessen bleibt, warum Papst Johannes Paul II. in seinen letzten Lebensjahren, als seine Parkinson-Erkrankung nicht mehr zu übersehen war, einen Rücktritt stets ablehnte. Er selbst sprach nie über seine Krankheit, ließ aber verbreiten, dass Gott mit seinem Leiden offensichtlich für ein Leben in Bescheidenheit, Demut und Solidarität werben wolle. In seinem Leiden entwickelte er ein Charisma, in dem sichtbar wurde, dass Krankheit nicht immer mit Schwäche gleichzusetzen ist.

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