Das Schweigen nach dem Mauerfall

Florian Riesterer

Ich war acht Jahre alt, als die Mauer fiel. Mein Vater holte uns Kinder damals aus dem Bett runter vor den Fernseher. Wir sahen die Tagesschau. Jubelnde, tanzende Menschen, hupende Autos. Bis heute ist mir dieser Moment in Erinnerung geblieben. Aber er ist doch letztlich nur ein Abziehbild dessen, was in seiner Tragweite geschehen ist.

Wenn 30 Jahre nach dem Mauerfall eine der unzähligen Statistiken und Umfragen über das Leben in Ost- und Westdeutschland verkündet wird, die einmal mehr abgehängte Regionen in einem „rassistischen Dunkeldeutschland“ sehen, schmerzt das: Weil die Zuschreibungen an die Menschen in der ehemaligen DDR so pauschal sind. Das Land aber, so wie es einmal existiert hat, ist nicht mehr zugänglich. Was bleibt, sind die vielen Biografien, die zu erschließen sind. Unter anderem für die nach der Wende geborenen Kinder, die die Heimat ihrer Eltern nicht mehr besuchen können, weil es sie so nicht mehr gibt. Gerade deshalb identifizieren sie sich teils stärker ostdeutsch als die Elterngeneration, hat der Journalist Johannes Nichelmann für sein Buch „Nachwendekinder“ in Gesprächen mit Eltern und Kindern in Ostdeutschland herausgefunden. Besonders, wenn die Eltern ihnen vorenthalten, wie sie selbst die DDR erlebt haben. Besonders, wenn stattdessen negative Klischees über den Osten die Leerstellen füllen.

Vermutlich gibt es aber auch einen Grund, über manches nicht zu reden. Möglich, dass ­dieses Schweigen ein Trauma trans­portiert. Was folgt ist aber, dass die nächste Generation das Trauma erbt. Das Sprechen kann heilsam sein, hat Autor Nichelmann bemerkt. Letztlich auch für die Gesellschaft in Deutschland. Nicht übereinander, sondern miteinander. Zuerst in den Familien.

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