Meinungsfreiheit: Europas Fundament

von Hartmut Metzger

Hartmut Metzger

Deutschland erlebt derzeit eine unsägliche Diskussion über einen besonders frechen Beitrag des Satirikers Jan Böhmermann, der zielgenau knapp unter der Gürtellinie des ­türkischen Potentaten „Sultan Erdogan“ eingeschlagen hat. Weshalb aber löst eine solche Satire eine Staatsaffäre aus? Etwa weil sie so schlecht war, oder weil der derart derb Geschmähte die Meinungsfreiheit hasst und so dumm ist, auf Satire zu reagieren? Beides ist mit Sicherheit der Fall. Wie oft wurde Kanzlerin Merkel in den vergangenen Jahren schon mit Uniform und Hakenkreuz versehen? Sie blieb souverän.

Ganz anders aber verhält sich Merkel im Fall des erzürnten Türken-Potentaten. Sie distanziert sich sofort vom bösen Werk und lässt auch noch ein Strafverfahren nach dem Fürstenparagrafen 103 des Strafgesetzbuchs zu, der für die Beleidigung von Staatsoberhäuptern besonders hohe Strafen vorsieht. Kaum ein deutscher Jurist erinnerte sich ­daran, dass dieses Verbrechen am deutschen Grundgesetz noch immer existiert – die Anwälte des Potentaten, der in seinem Türken-Reich kritische Journalisten einfach ins Gefängnis steckt, wussten das sofort.

Jetzt hat Merkel ein Problem. Jetzt steht sie unter dem Verdacht der Erpressbarkeit, weil sie in der Flüchtlingsfrage vom Wohlwollen des Potentaten abhängig ist. Glaubwürdigkeit ist für Politiker ein hohes Gut, für die Kanzlerin erst recht. Nach einer ARD-Umfrage verliert sie bereits deutlich an Rückhalt in der Bevölkerung, die spürt, dass nicht mehr alles mit rechten Dingen zugeht. Aber Merkel kann Böhmermann nicht einfach an Erdogan ausliefern. Für beide gibt es Gerichte, die auch die Meinungsfreiheit schützen. Auf der Grundlage der Gewaltenteilung ist sie Europas Fundament.

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