Flucht in die Meinungsbunker

von Klaus Koch

Klaus Koch

Es ist ein alter rhetorischer Kniff, zunächst das Wohlwollen der Zuhörer zu suchen, bevor man ihnen Unangenehmes zumutet. Besonders beliebt ist dieser Kniff in der Flüchtlingsdebatte. Die Befürworter einer Willkommenskultur beginnen Diskussionen oft mit dem Satz: Natürlich müssen Straftaten von Flüchtlingen mit der Härte des Gesetzes verfolgt werden. Dann folgen Warnungen vor Generalverdacht und Forderungen nach ­Integration. Wer die Flüchtlinge skeptisch sieht, sagt: Menschen, die verfolgt werden und sich integrieren wollen, muss geholfen werden, aber es kommen zu viele, und ein großer Teil will sich gar nicht integrieren.

Eigentlich ist eine solche Art der Gesprächsführung Ausdruck einer vernünftigen Diskussionskultur. Der Gesprächspartner soll dort abgeholt werden, wo er selbst steht. Doch inzwischen dienen solche Sätze nur als Finte, um sich nicht angreifbar zu machen. Längst sitzen viele in ihren Meinungsbunkern und fühlen sich im Besitz der einzig gültigen Wahrheit. Das Thema Flüchtlinge ist zum Spaltpilz geworden. ­Familien, Freundeskreise, Vereine, Parteien und sogar manche Kirchengemeinden sind heillos zerstritten. Wer anderer Meinung ist, ist wahlweise der naive Gutmensch oder der dumpfe Ausländerfeind.

Das zerstört das offene, liberale Gemeinwesen, das beide Seiten angeblich verteidigen wollen. Der Austausch und das Ernstnehmen von Argumenten gehören zur Grundlage demokratischer Kultur. Deshalb sind jetzt Politiker, aber auch Menschen in Familien, Vereinen und Kirchengemeinden gefragt, die nicht nur schwarz oder weiß, sondern in Grautönen denken und reden. Denn sonst schafft sich die freie Gesellschaft selbst ab, egal, wie viele Flüchtlinge kommen.

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