Pfälzer Protestanten unter dem Hakenkreuz

von Alexander Lang

Alexander Lang

Ein großer Teil der Protestanten in der Pfalz hat die Hitler-Diktatur bereitwillig unterstützt. Einen ausgeprägten Kirchenkampf gegen die braunen Machthaber gab es zwischen 1933 und 1945 nicht: Das sind die zentralen Ergebnisse eines neuen Handbuchs zur Geschichte der Evangelischen Kirche der Pfalz im Nationalsozialismus. „Protestanten ohne Protest“ ist das zweibändige Werk provokativ überschrieben, das 60 Autoren im Auftrag der pfälzischen Landeskirche und unter Federführung der Evangelischen Akademie der Pfalz über einen Zeitraum von fünfeinhalb Jahren erarbeitet haben.

Die mehr als 900-seitige Publikation biete erstmals ein differenziertes ­Gesamtbild der Geschichte der Landeskirche in der NS-Zeit, sagten Akademiedirektor Christoph Picker und die Direktorin des landeskirchlichen Zentralarchivs, Gabriele Stüber, als Herausgeber. Das Buch wolle zum Nachdenken über die damalige Rolle der evangelischen Kirche sowie über den Nationalsozialismus insgesamt anregen und zu weiteren regional- und lokalgeschichtlichen Forschungen motivieren. In der Evangelischen Kirche in Deutschland haben bereits die badische Landeskirche und die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland ihre NS-Vergangenheit mit ähnlichen Buchprojekten aufgearbeitet.

Protest gegen den NS-Staat und ­seine verbrecherische Politik gegen Juden und andere Minderheiten habe sich in der Pfalz kaum geregt. Auch nach 1945 habe vielen kirchlichen ­Akteuren, die als begeisterte Nationalsozialisten die Landeskirche selbst „gleichschalteten“, ein Unrechtsbewusstsein gefehlt. Aus persönlicher Befangenheit und auch Scham hätten viele Protestanten über ihre Rolle in der NS-Zeit geschwiegen. Erst mit historischem Abstand und nach dem Tod vieler Zeitzeugen sei nun ein klarer Blick auf die Zeit der pfälzischen Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus möglich, sagte Akademie­direktor Picker.

Das neue NS-Handbuch, mit einer Gesamtauflage von 1000 Exemplaren im Verlagshaus Speyer erschienen, beleuchtet im ersten Band mit Blick auf Institutionen, Organisationen und Gruppen die politische Rolle der Landeskirche im NS-Staat. In den Blick gerät auch, wie die Kirche ihre Arbeitsfelder gestaltete – etwa Gottesdienst und Kirchenmusik, Jugendarbeit, Seelsorge, Kunst und Kirchenbau oder die evangelische Presse. Wichtige kirchliche Akteure werden im zweiten Band mit Kurzbiografien vorgestellt, in dem sich auch der ­bibliografische Anhang findet.

Eine „lebendige Auseinandersetzung“ mit dem NS-Handbuch solle die Erinnerungskultur der Landeskirche und ihre Bildungsarbeit befruchten, wünschen sich die Herausgeber. Wünschenswert wäre für sie eine historische Gesamtschau der Evangelischen Kirche in Deutschland mit ihren Regionen unter dem Hakenkreuz.

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