Die Reformation und die „Eine Welt“

von Klaus Koch

Klaus Koch

Das Motto der Reformationsdekade für das Jahr 2016 könnte aktueller nicht sein: Reformation und die Eine Welt. Zunächst verweist diese Aussage darauf, dass die Reformation keine deutsche Angelegenheit ist. Zwar sind wichtige Impulse für die Reformation von hier ausgegangen, aber inzwischen berufen sich weltweit etwa 400 Millionen Christen auf das reformatorische Erbe. Sie leben ihren Glauben in großer Vielfalt und haben gelegentlich sehr unterschiedliche und ungewohnte Frömmigkeitsstile. Und doch verstehen sie sich als Glaubensfamilie.

Seit Jahrzehnten ringen dabei die Protestanten des Westens mit sich und den Partnern, dass sie nicht als Patriarchen dieser Familie erscheinen und die Glaubensgeschwister vor allem in den weniger entwickelten Ländern die Rolle der Kinder übernehmen. Damit hat der Protestantismus das gleiche Problem wie die Weltgemeinschaft als Ganzes. Dadurch, dass Begriffe wie „Erste, Zweite, Dritte oder Vierte Welt“ aus dem Wortschatz der Entwicklungspolitik gestrichen und durch „Eine Welt“ ersetzt wurden, hat sich substanziell nichts Wesentliches geändert. Nach wie vor bestimmen die Industriestaaten, wo es im Welthandel langgeht. Und das auf Kosten der Armen.

Angesichts der derzeitigen Flüchtlingsbewegungen verlangen immer wieder überforderte Politiker, die Fluchtursachen müssten bekämpft werden. Das Problem dabei ist, dass wir, die Menschen in den westlichen Gesellschaften, häufig diese Fluchtursachen sind. Wir essen die Hühnerbrust und schicken den Rest nach Afrika, woraufhin dort die kleinen Hühnerfarmen pleitegehen. Wir subventionieren überschüssiges Getreide, exportieren es und zerstören so die Existenz von Bauern in Entwicklungsländern. Und wir exportieren Waffen in Krisengebiete, in denen wir unsere Interessen vermuten. Und diese Waffen werden dann, wenn sie in falsche Hände geraten, gegen die Menschen dort oder gegen den Westen eingesetzt. Hinzu kommt, dass unser überbordender Lebenswandel das weltweite Klima so verändert, dass vor allem die armen Länder wechselweise ausdörren oder absaufen. Die „Eine Welt“ im Jahresmotto ist also keineswegs eine Zustandsbeschreibung, allenfalls eine Zielvorgabe.

Es gibt in der evangelischen Kirche viele Menschen, die sich hochkompetent in der weltweiten Zusammenarbeit engagieren. Sie pflegen Partnerschaften, suchen den Kontakt zu ausländischen Protestanten in Deutschland und kümmern sich nicht zuletzt um zahlreiche Projekte in der Entwicklungspolitik. Dieses Engagement sollte in den Mittelpunkt des Themenjahres gestellt werden. Denn es blüht zu häufig im Verborgenen. Die Gemeinden vor Ort spiegeln nur selten die weltweite Vielfalt des Protestantismus wider, selbst dann nicht, wenn die Fremden plötzlich in die Nachbarschaft gezogen sind. Die Gemeinden leben oft weniger in der „Einen“, als vielmehr in ihrer eigenen Welt.

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