Wenn die Winde weh'n

Wenn im Herbst der Wind bläst, könnt Ihr wieder Drachen steigen lassen. Das Tolle daran: Ein Drachen verbindet Himmel und Erde. Wir stehen unten auf der Erde und halten ihn fest. Und der Drachen kann nur hoch hinaus fliegen, wenn wir die Verbindung halten.

Herbststürme können aber auch ganz schön Angst machen. In der Bibel wird erzählt, dass Jesus mächtiger ist als alle Naturgewalten: 

Sturmstillung

Ein Herbststurm

von Gerhard Jung

Jetzt komm ich! Und wenn ich komme, dann geht es rund. Und wer nicht vor mir kuscht, der wird was erleben, den mach ich platt, dem wird hören und sehen vergehen. Viele halten mich ja für einen aufgeblasenen Kerl, aber eigentlich bin ich ganz verträglich. Meistens komme ich gemütlich daher. Da freuen sich die Leute. Ich bringe ihnen frische Luft und etwas Abkühlung an heißen Tagen. Aber es gibt Tage, da kann ich mich nicht zurückhalten. Da sammelt sich so viel Energie in mir an, die muss einfach raus. Und dann kenne ich nichts. Dann darf sich mir keiner in den Weg stellen. Und wenn doch, dann wehe ihm.

Kürzlich kam ich durch die Wüste an. Heiß war es und ich habe jede Menge Staub aufgewirbelt. Und da kommt mir doch so eine Karawane quer. Na, die habe ich ganz schön zugeschüttet. Die Tiere haben sich ganz dicht an den Boden gedrückt. Die Reiter haben sich hinter ihnen versteckt und sich in ihre wallenden Gewänder gehüllt. Aber das nützt bei mir nichts. Ich habe ihnen den Wüstensand in alle Ritzen geblasen. Die sahen vielleicht aus. Ich sag´s ja, mir soll keiner quer kommen. Und dann war da mal ein Nomadenstamm. Die waren gerade dabei, ihre Zelte aufzubauen. Sie haben sich so beeilt, die Pflöcke in den Boden zu rammen und den Zeltrand mit Steinen zu beschweren – aber es hat nicht gereicht. Ich war schneller. Und stärker. Ich bin in ihr Zelt hinein und habe es mitgenommen. Wie sind sie hinterhergerannt, und haben versucht ihr Zelt zu fangen. Am Ende eines Tales habe ich es dann auf einem Baumwipfel abgelegt. Die hatten ganz schön Mühe es aus den Ästen zu befreien. Herrlich, das hat Spaß gemacht.

Aber heute ist es mal wieder soweit. Heute geht es über die Hochebene, schön viel Schwung holen, dann die Berge hinauf und auf der anderen Seite ganz tief hinunter. – huuuuiii – und da liegt er: Der See. Das ist jedes Mal ein riesen Spaß. Ich peitsche das Wasser auf, dass es nur so spritz und hohe Wellen ans Ufer klatschen. Fallwind nennen die Leute es. Ja, ich falle über sie her. Schade nur, dass mir dabei niemand zusieht. Da bringen sich alle immer ganz schnell in Sicherheit. Die Boote werden hoch aufs Ufer gezogen, wo das Wasser nicht hinkommt. Und die Leute sitzen in ihren Häuser und warten, bis ich mich ausgetobt habe.

Aber, aber, was sehe ich da. Heute scheint mein Glückstag zu sein. Da sind ja Boote mitten auf dem See. Die Segel haben sie schon eingeholt. Sie ahnen wohl, was jetzt passiert. Dass sie sich überhaupt rausgetraut haben. Das ist doch sonst nicht ihre Art. Herrlich, denen zeig ich jetzt mal, was ich drauf hab´. So – erst mal eine Welle, volle Breitseite. Klatsch, direkt ins Boot. Die sind alle nass. Oh, sie versuchen das Wasser aus dem Boot zu schöpfen. Na, dann schnell noch eine Welle hinterher. Wie aufgeregt sie rumzappeln. Das Boot ist auch ganz schön voll.

Moment, da liegt einer hinten im Boot. Ist der krank? Vielleicht seekrank? Nein, er scheint zu schlafen. Unverschämtheit. Wie kann der bei diesem Sturm einfach schlafen. Na warte, ich wird´ dich schon aufwecken. So: Klatsch, klatsch, klatsch. Da kann keiner mehr schlafen. Was? Der ist immer noch nicht wach? Aaah, die anderen wecken ihn. Er soll wohl beim Wasser schöpfen helfen. Jetzt ist er wach und schaut sie ganz verwundert an. Was? Er wundert sich, dass sie ihn geweckt haben? Was ist das für ein Mensch, dass er bei so einem Sturm seelenruhig schlafen kann? Jetzt steht er auf und redet mit ihnen. Und jetzt, jetzt dreht er sich zu mir. Er öffnet seinen Mund. Trotz des Lärms kann ich jedes Wort verstehen: „Werde ruhig! Sei still!“ Wie redet der mit mir? Wer glaubt er, dass er ist, dieser … da bleibt mir glatt die Luft weg. Das verschlägt mir den Atem. Mir geht tatsächlich die Puste aus. Wer ist das? Sogar ich muss ihm gehorchen. Wer ist das?

Die Stillung des Sturms, Markus 4, 35 – 41

Am Abend dieses Tages sagte Jesus zu seinen Jüngern: »Wir wollen ans andere Ufer fahren.«
Sie ließen die Volksmenge zurück. Dann fuhren sie mit dem Boot los, in dem er saß.
Auch andere Boote fuhren mit.
Da kam ein starker Sturm auf. Die Wellen schlugen ins Boot hinein, sodass es schon volllief.
Jesus schlief hinten im Boot auf einem Kissen. Seine Jünger weckten ihn und riefen:
»Lehrer! Macht es dir nichts aus, dass wir untergehen?«
Jesus stand auf, bedrohte den Wind und sagte zu dem See: »Werde ruhig! Sei still!«
Da legte sich der Wind und es wurde ganz still.
Und Jesus fragte die Jünger: »Warum habt ihr solche Angst? Wo ist euer Glaube?«
Aber die Jünger überkam große Furcht. Sie fragten sich:
»Wer ist er eigentlich? Sogar der Wind und die Wellen gehorchen ihm.«