Mit Ängsten leben

Cornelia Stübinger-Geiger
Cornelia Stübinger-Geiger
Angstbild von Marlene, 5
Angstbild von Marlene, 5

Liebe Frau Stübinger-Geiger, Sie sind Diplom-Psychologin und haben selbst drei kleine Kinder unter 6 Jahren. Da können Sie uns sicher einiges zum Thema Kinder und Ängste sagen.

Kinder brauchen doch keine Angst zu haben – wir wollen ihnen doch als Eltern und Erzieherinnen und Erzieher Vertrauen ins Leben mit auf den Weg geben.

Müssen wir dann nicht alle Ängste nehmen bzw. von ihnen fernhalten? Können wir das denn überhaupt - Kindern alle Ängste nehmen bzw. von ihnen fernhalten?

Ängste gehören zu der normalen Entwicklung eines Kindes, so kennen fast alle Eltern kleiner Kinder die sogenannte 8-Monatsangst, auch „Fremdeln“ genannt. Hier wird deutlich, dass die Kinder einen wichtigen Schritt in der Entwicklung gemacht haben und es ihnen nun gelingt, zwischen vertrauten und fremden Personen zu differenzieren.

Und auch, wenn es natürlich schön ist, wenn Kinder behütet aufwachsen, sollte man sie nicht „überbehüten“, sondern sie ermutigen und darin bestärken, ihre eigenen Erfahrungen zu machen, auch Neues zu wagen. Das stärkt ihre Selbstwirksamkeit und macht sie stark.

Das Fernhalten aller Ängste bzw. die Vermeidung angstbesetzter Situationen ist nicht hilfreich, sondern verstärkt die Angst langfristig leider nur.

Welche Ängste gibt es bei Kindern? 

Bei Kindern gibt es in der Entwicklung einige typische Ängste, wie z.B. die Angst vor dem Verlassen Werden, vor Fremden, vor Dunkelheit, vor Monstern, vor Hunden oder vor dem Tod. Diese sollten den Eltern erst einmal keine Sorgen machen. Erst, wenn die Ängste besonders stark werden, über mehrere Wochen anhalten und das Kind stark beeinträchtigen, sollte man professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, um abzuklären, ob es sich um eine behandlungbedürftige Angst handelt.

Wie äußert sich Angst bei Kindern?

Wie auch bei Erwachsenen besteht die Angst bei Kindern aus drei Komponenten: den körperlichen Symptomen, den Gedanken und dem Verhalten.

Kinder mit Angst sprechen oft sehr leise, können keinen Blickkontakt halten. Sie äußern häufig körperliche Symptome, wie Bauchschmerzen oder Kopfschmerzen, ziehen sich zurück, verweigern z.B. den Schulbesuch.

Welche Mittel und Wege gibt es, Kinder aktiv in Situationen der Angst zu begleiten?

Mit dem Kind über seine Ängste sprechen, es ernst nehmen, trösten, in den Arm nehmen und beruhigen, der Angst erstmal den Schrecken nehmen. Auch kann man das Kind Bilder malen lassen oder Bücher zum Thema angucken.

Gerade bei der Angst vor dem Tod oder dem Sterben kann auch der Glaube hilfreich sein. Das erlebe ich gerade aktuell bei meiner 5-jährigen Tochter. Vor kurzem ist ihre Ur-Oma gestorben, an der sie sehr hing. Wir haben viel über dieses Thema gesprochen und der Glaube daran, dass ihre Ur-Oma jetzt „im Himmel bei Gott und dem Ur-Opa“ ist, hat ihr bei der Angstbewältigung geholfen. Ebenso, wie die bildliche Darstellung ihrer Vorstellung der Ur-Oma, die nun „glücklich aus dem Himmel auf uns herabschaut“.

Bei behandlungsbedürftigen Ängsten wird der Therapeut nach einer ausführlichen Diagnostik in Zusammenarbeit mit den Eltern behutsam und in kleinen Schritten „mit dem Kind auf die Angst zugehen bis sie nach und nach kleiner wird“.

Welche Strategien gibt es, wie Kinder sich in angstauslösenden Situationen selbst helfen können?

Voraussetzung für die Begleitung von Kindern in angstauslösenden Situationen ist eine vertrauensvolle Beziehung zwischen den Eltern bzw. Bezugspersonen und dem Kind. Diese vermittelt dem Kind Sicherheit und Rückhalt. Gute Rituale, wie z.B. vor dem Einschlafen gemeinsam ein Buch zu lesen oder zusammen zu beten, sind hilfreich. Wichtig ist, mit seinem Kind „im Gespräch“ zu bleiben, immer ein offenes Ohr für Ängste und Sorgen zu haben. Mit älteren Kindern z.B. kann man auch Selbstinstruktionen erarbeiten, also das Sprechen innerer Monologe, was zu einer leichteren Bewältigung angstbesetzter Situationen führt. Außerdem können persönliche Hilfssätze („Ich schaffe das!“, „Ich bin stärker als die Angst“) entwickelt und im Kinderzimmer aufgehängt oder in der Tasche mitgeführt werden. 

Vielen Dank, Frau Stübinger-Geiger für das aufschlussreiche Gespräch!

Das Gespräch mit Cornelia Stübinger-Geiger führte Lydia Würth, Diakonisches Werk, Referat Kindertagesstätten