Weil das Kapital die Wirtschaft steuert

von Wolfgang Weissgerber

Wolfgang Weissgerber

„Low Carb“ – wenig Kohlehydrate – ist das Zauberwort einer ganzen Reihe von Diäten, mit denen Angehörige der Wohlstandsgesellschaft versuchen, ihre dicken Bäuche loszuwerden. Oft vergebens. Mit dem Kampfbegriff „No Carb“ – keine Kohle – wollen Umweltaktivisten die ganze Welt auf Nulldiät bei fossilen Brennstoffe setzen. Auch ihr Erfolg ist keineswegs sicher. Ihr Plan, die Kohlewirtschaft vom Kapitalfluss abzuschneiden, ist aber zumindest einen Versuch wert.

Kohle ist der Klimakiller Nummer eins. Da sind sich fast alle Wissenschaftler und Politiker einig. Nur wenige – wie US-Präsident Donald Trump – bestreiten die Erderwärmung und deren Ursachen im Verhalten der Menschen und der Wirtschaft in den Industrieländern. Viele Regelungen zum Klima- und Umweltschutz hat der US-Präsident wieder kassiert.

Trump bezweifelt sogar, dass sich das Klima überhaupt verändert. Er will die US-amerikanische Wirtschaft vor, wie er sagt, ungerechtfertigten Auflagen durch überzogenen Klimaschutz bewahren – denn das kostet schließlich Rendite und gefährdet Jobs. An Trump kann man sich als ökologisch bewusster Mitteleuropäer wunderbar reiben. Leider handelt die Mehrheit der Wirtschaftsführer und Staatenlenker aber genauso oder zumindest ähnlich – wenngleich nicht so unverblümt. Europa hat vieles in die Zukunft verschoben.

Doch ein wachsender Teil der Zivilgesellschaft will nicht so weitermachen wie bisher. Zwar ist es eher ein gut situiertes Bildungsbürgertum, das bio und öko und fair einkauft, mit E-Autos – über deren Sinn und Umweltfreundlichkeit sich streiten lässt – oder gleich mit dem Lastenfahrrad mobil ist und vorzugsweise in gut ­gedämmten Passivhäusern lebt. Aber auch unter Menschen mit kleinem Geldbeutel wächst das Bewusstsein für eine intakte Umwelt.

Eine Reihe von Umweltorganisationen macht Ernst mit der Idee, nicht nur den persönlichen Lebensstil zu überdenken, sondern das Kohleproblem an der Wurzel zu packen. Mit öffentlichkeitswirksamen Druck bewegen sie Investoren, ihr Kapital aus der Kohlewirtschaft abzuziehen. Sogar Geschäftsbanken mussten nachgeben.

Einen ganz anderen Weg als der Versuch, der Kohlewirtschaft den Geldhahn zuzudrehen, beschreiten politisch interessierte Investoren, wie sie im Verband Kritischer Aktionäre zusammengeschlossen sind. Als Anteilseigner nutzen sie die Möglichkeit, auf Hauptversammlungen die Unternehmensvorstände mit den Folgen ihres Tuns zu konfrontieren und zu zwingen, sich dafür zu rechtfertigen. Beim Thema Umweltschutz sind sie ebenso aktiv wie bei den Menschenrechten.

Bislang treten sie auf den Aktionärstreffen nur als kleine, insgeheim belächelte Minderheit auf. Sollten die Großbanken aufgrund ihrer neuen Selbstverpflichtung zum Klimaschutz dort ins gleiche Horn stoßen, wäre das wohl ein echte Trendwende.

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