Starke Signale statt Menschengeschacher

von Florian Riesterer

Florian Riesterer

Hundert mehr oder weniger: Am Ende wird nur ein Bruchteil der zigtausend Flüchtlinge, die seit Monaten in Griechenland ausharren, von neun EU-Ländern und der Schweiz aufgenommen werden. Menschen aus dem abgebrannten Lager Moria sind möglicherweise gar keine darunter. Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis lässt sie nicht ausreisen – aus Angst, Elendslager auf anderen Inseln könnten dann ebenfalls in Rauch aufgehen. Wäre die Lage nicht so ernst, ließe sich das als schlechter Scherz verkaufen. Schließlich ist die Brandkatastrophe ein Inferno mit Ansage.

Die Schlüsse daraus könnten aber unterschiedlicher nicht sein. Die CDU/CSU hat in Teilen Angst, mit „vermeintlicher Menschlichkeit“ noch mehr Menschen zu locken, für die es „wieder keine Zukunft gibt“, so ein Abgeordneter im Bundestag. Brände zu legen, dürfe keine Eintrittskarte für Europa sein, heißt es mit Blick auf Vermutungen, Lagerbewohner hätten die Verschläge angezündet. Allein das Wort „Eintrittskarte“ ist zynisch angesichts der katastrophalen Zustände in griechischen Lagern.

Die AfD sieht auf Lesbos kriminelle Banden am Werk. Was gar nicht wundern würde. Das Elend gebiert Wut und Verzweiflung auf beiden Seiten des Lagers. Das verraten auch Berichte über Inselbewohner, die Hilfskräfte bei der Arbeit behindern. Das Bild des abgebrannten Lagers werde sich als Bild des Verlusts der EU als Werte­union einbrennen – wie das des toten Flüchtlingsjungens Alan Kurdi, der im Mittelmeer ertrank. So mahnt ein SPD-Abgeordneter.

Waren früher eine Handvoll EU-Länder gegen feste Quoten für die Aufnahme von Flüchtlingen, die ohnehin kaum umgesetzt wurden, sind es heute nur noch eine Handvoll, die den ­alten Kurs überhaupt noch unterstützen. Längst sind sich die Länder aber nicht mehr nur untereinander uneins, sie entfernen sich von ihren Bürgern.

174 Kommunen haben sich in Deutschland seit 2018(!) als „sichere Häfen“ erklärt, würden gerne Flüchtlinge aufnehmen. In Berlin, Frankfurt, Hamburg oder Mainz demonstrierten die Menschen für deren Aufnahme. Stattdessen entsteht auf Lesbos eine neue Zeltstadt. Als Provisorium, wird die griechische Regierung nicht müde zu betonen. Ein Provisorium nach dem Provisorium, um obdachlose, hoffnungslose Menschen dem Blick der Weltöffentlichkeit zu entziehen.

Wenn sich schon die EU im Menschengeschacher als Solidargemeinschaft unglaubwürdig gemacht hat, sollten das wenigstens einzelne Länder nicht tun, wenn es dort Menschen gibt, die sich für die Flüchtlinge einsetzen wollen. Einmal, um ein Signal zu setzen, vor allem aber, weil Menschen Hilfe brauchen. Möglich, dass die wenigen helfenden Länder in Teilen damit überfordert sind – das zeigte sich auch vor fünf Jahren in Deutschland. Alternativen gibt es nicht. Die Menschen in Moria erneut zu vergessen, hieße weitere Brände zu schüren.

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