Nach Corona droht mehr Ungerechtigkeit

von Klaus Koch

Klaus Koch

Der Wurstmarkt wird in diesem Jahr ebenso wenig stattfinden wie das ­Oktoberfest und kleinere Wein- und Volksfeste. Das ist vernünftig. Auch Fußballspiele in gut gefüllten Stadien wird es keine geben. Wer sich anschaut, welche verheerenden Folgen das Champions-League-Spiel in Bergamo für Norditalien hatte, kann keine andere Entscheidung wollen. Auch runde Geburtstage, Hochzeiten oder Taufen werden, wenn sie denn überhaupt 2020 noch möglich sind, kaum ausgelassen gefeiert werden.

Natürlich, Feste und Fußball sind nicht das, was ein Land derzeit zum Überleben braucht. Aber die Absagen sind ein Symbol dafür, dass in den nächsten Monaten, vielleicht in den nächsten ein, zwei Jahren nichts mehr so sein wird, wie es war. Erst ein wirksames Medikament gegen das Virus oder ein Impfstoff können die Tür für eine Rückkehr zu Zuständen öffnen, die denen vor der Pandemie wenigstens ähneln. In welcher Verfassung das Land und die Gesellschaft dann sein werden, weiß allerdings niemand.

Jetzt sei die Zeit der Exekutive, ist zu hören. Mit vielen Milliarden Euro stützt der Staat das System. Wie schon in der Finanzkrise hat das Wort „systemrelevant“ Konjunktur. Damals waren es die Banken, die gerettet wurden. Und heute? Die Menschen im Gesundheitswesen geraten in den Blick. Altenpflegerinnen und Krankenschwestern erhalten endlich die Anerkennung, die ihnen schon vor der Krise gebührt hätte. Doch da wurden sie in dem von wirtschaftlichen Zwängen dominierten Gesundheitssystem immer auch als Kostenfaktoren wahrgenommen. Dass sie aber grundsätzlich systemrelevant sind, ist jetzt hoffentlich auf Dauer unstrittig.

Doch Staatsgeld wollen auch Konzerne, die noch vor Kurzem Milliarden an Dividenden gezahlt haben, Zahnärzte, deren Praxen jahrelang florierten, und Studenten mit vermögenden Eltern. Unter diesen Umständen darf nicht nur nach den für das System relevanten Teilen geschaut werden, sondern es müsste auch darüber diskutiert werden, was das denn für ein System ist, dessen relevante Stützpfeiler mit dem Geld der Allgemeinheit gerettet werden. Immerhin ist es ein System, in dem die Firma Adidas als eine der Ersten auf die Idee kam, öffentliche Mietzuschüsse zu beantragen. Und das etwa zur gleichen Zeit, als Obdachlose zur Prävention vor dem Virus von städtischen Ruhebänken verscheucht wurden.

Es ist wichtig, die Existenz so vieler Menschen und Firmen wie möglich zu sichern. Aber wenn vor allem die unterstützt werden, die am lautesten auf sich aufmerksam machen können, weil sie am meisten Einfluss und wirtschaftliche Macht haben, dann wird diese Gesellschaft deutlich ungerechter aus der Pandemie herauskommen, als sie hineingegangen ist. Dann sind die Armen und Schwachen einmal mehr die Verlierer eines Systems, in dem eben nicht alle Menschen die gleiche Relevanz haben.

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