Mit dem Privileg vorsichtig umgehen

von Florian Riesterer

Florian Riesterer

Nach drei Wochen Lockdown sind die Infektionszahlen noch immer nicht signifikant gesunken. Auch in der Zeit danach drohen Einschränkungen für Gastronomen, Dienstleister, aber auch Kulturschaffende. Die schwer gebeutelte Veranstaltungswirtschaft fordert von der Politik in dem Bündnis „Alarmstufe Rot“ mehr Geld. Gottesdienste allerdings dürfen – anders als im Frühjahr – stattfinden. Und das mit Livemusik. Bis zu acht Musiker können in Rheinland-Pfalz unter Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln den Gottesdienst bereichern. Kirchenmusik ist Verkündigung. Und so sind in der Landeskirche in den vergangenen Wochen zahlreiche Konzerte in musikalische Abendandachten umgewandelt worden, auch weil Landeskirchen-Musikdirektor Jochen Steuerwald dazu aufrief.

Die Formate kommen an. Gleichzeitig sollte sich die Kirche bewusst sein, dass sie dieses Privileg dem in der Verfassung verankerten Recht auf ungestörte Religionsausübung verdankt, nicht ihren Hygienekonzepten. Solche haben auch Konzerthäuser, Opern und Theater. Deshalb regt sich gerade bei gesellschaftlichen Gruppen, die ohnehin der Kirche ihren Sonderstatus absprechen, Unmut über eine Ungleichbehandlung. Rein verfassungsrechtlich ist Kunst tatsächlich gleichermaßen durch das Grundgesetz geschützt. Daraus leitet sich allerdings kein Recht auf Kunst ab. Selbst, wenn mit den Worten von Kulturstaatsministerin Monika Grütters die Kultur „das notwendige Korrektiv in einer lebendigen Demokratie“ ist.

Die Kirchen sind sich ihrem Privileg auch mit Blick auf die Musik durchaus bewusst. So erklärte etwa der Verband Evangelische Kirchenmusik in Württemberg, dieses Vorrecht „sollte aufgrund ausufernder Probensequenz nicht zu Unmut bei den örtlichen weltlichen Ensembles und kommunalen Behörden führen“. Gleichzeitig appelliert die Deutsche Orchestervereinigung an die Kirchen, Kulturschaffenden bundesweit mehr Auftrittsmöglichkeiten im Rahmen des Gottesdienstes zu ermöglichen – gerade im November mit seinen vielen kirchlichen Gedenktagen, darunter der Ewigkeitssonntag, könnte mehr Musik im Gottesdienst eine Bereicherung sein.

Die Kirchen müssen einen Mittelweg finden. Und: Wo Gottesdienst draufsteht, muss Gottesdienst drin sein. Allein schon als Fingerzeig an jene, die meinen, drei Bibelzitate machten aus einer Demonstration auf der Theresienwiese gegen Corona-Kontaktbeschränkungen einen Gottesdienst. Verkündigung, die Trost spendet, sieht anders aus. Musikalische Gottesdienste sind bei aller sozialen Selbstbeschränkung notwendig. Kirche wird so ihrem Auftrag gerecht und hilft Musikern über eine Durststrecke hinweg – indem Spenden für Kulturschaffende gesammelt werden. Wenn sich Pfarrerinnen und Kantoren auch nach Corona für musikalische Andachten starkmachten, wäre diese Entwicklung gar nicht so schlecht.

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