Gratwanderung mit Fragezeichen

von Hartmut Metzger

Hartmut Metzger

Nun wird wieder Urlaub geplant, aber nicht von allen. Es gibt viele gesunde Frauen und Männer, die dazu aus finanziellen, familiären oder mentalen Gründen nicht in der Lage sind. In mehr als zehn Wochen hat die Corona-Krise auch in der gut gerüsteten Bundesrepublik tiefe Spuren hinterlassen. Den einen fehlt das Geld, die anderen betreuen Angehörige, und die Dritten kommen mit der ganzen bedrohlichen Situation nicht mehr zurecht. Und dann gibt es auch noch die Infizierten, die es so richtig erwischt hat. Aber: Das Leben muss ja schließlich weitergehen.

Die Fußball-Liga warnt vor unzulässigem Torjubel, und Tui will Ende Juni wieder nach Mallorca fliegen. Beides sind eigentlich begrüßenswerte Anzeichen der scheibchenweisen Rückkehr zu einer Normalität, die wohl nicht mehr so ganz zur alten wird. Die Wirtschaftsweisen lehnen neuerdings Kaufprämien ab und wollen angesichts der Corona-Krise nicht nur die Nachfrage fördern, sondern den Strukturwandel sinnvoll unterstützen. Erzbischof Marx zeigt sich öffentlich „erstaunt und auch fassungslos“ über Kollege Müller, der den Aufruf gegen eine „Weltverschwörung“ unterschreibt.

Wie fragil die Lage gerade für die Kirchen ist, zeigt der Gottesdienst einer Frankfurter Baptisten-Gemeinde vom 10. Mai. Laut ­Gesundheitsamt haben sich in seiner Folge mehr als 100 Menschen infiziert. „Alle Regeln eingehalten“, sagt die Gemeinde. Gottesdienste feiert sie jetzt wieder online. Die Rückkehr zum Leben im bisher Gewohnten gleicht einer Gratwanderung mit vielen Fragezeichen. Aber dieses Restrisiko ist durch keine Vorgabe aus der Welt zu schaffen. Unterwegs zur „neuen Normalität“ muss jeder eigenverantwortlich entscheiden, was er kann, was er sich zutraut und was nicht.

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