Unsicherer Blick in die Zukunft

Rezession kann auch Orgelsanierungen treffen – Bestehende Förderzusagen werden wohl eingehalten

Würde gerne das Jubiläum der Paulskirchen-Orgel feiern: Martin Reitzig. Foto: Stepan

Für die einzigartige Stumm-Orgel in der Paulskirche Kirchheimbolanden hätte Bezirkskantor Martin Reitzig im Jubiläumsjahr 2020, dem 275. nach ihrer Einweihung, gerne einen roten Teppich ausgerollt. Alles akribisch und spartenübergreifend erdacht – angemessen für eine Emporen-Königin aus der Oberliga der historischen Instrumente in der Pfalz und darüber hinaus.

Nun hat das Coronavirus den Feierlichkeiten erst einmal frische Bremsbeläge verordnet, auch wenn der kirchenmusikalische Hüter sich noch lange nicht ganz von seinem Konzertzyklus verabschiedet hat. Mitte Mai hätte die zehnteilige Folge starten und Anfang Oktober mit einer Referenz an den Komponisten, dem das Instrument seinen Beinamen „Mozart-Orgel“ verdankt, enden sollen.

Ob die Orgelkonzerte mit Olivier Lat­ry von Notre Dame de Paris, geplant für den 12. Juli, Manuel Schuen, Wien (30. August), und Wolfgang Zerer, Hamburg (13. September), stattfinden können, weiß allein der Himmel. Eng wird es sicherlich für die jazzige Tasten-Ikone Barbara Dennerlein, die mit „Spiritual Movements“ am 7. Juni an der Reihe wäre. Und auch die Recitals vom Neustadter Bezirkskantor Simon Reichert und Landeskirchenmusikdirektor Jochen Steuerwald im Mai und Juni müssen sicher auf spätere Termine ausweichen.

Man wird wohl ein wenig verschieben, vertagen müssen, sagt Reitzig, ohne dabei die kostbare Jubilarin mit dem auszubremsen, was ihr nach dem Jubeljahr verordnet ist. Da muss die Primadonna Assoluta unter den original erhaltenen Kunstwerken der Hunsrücker Orgelbau-Familie Stumm – 45 Register auf drei Manualen und Pedal – nämlich sorgsam von Grund auf restauriert werden. Zwei fundamentale Eingriffe hat das Werk seit seiner Einweihung 1745 erlebt, vor allem der letzte von 1966 hat ihm mehr geschadet als genützt.

So soll das Jubiläumsjahr nicht zuletzt nochmal den Blick schärfen für den Erhalt eines besonderen Kulturguts und die Anstrengungen zur Finanzierung. Die Kostenspanne spreizt sich noch gewaltig. „Schwer zu präzisieren“, sagt Gero Kaleschke, der Orgelsachverständige der Landeskirche, „zwischen einer und drei Millionen.“ Denn der Rückbau, auch aufgrund der komplizierten Stahlträgerkonstuktion, beinhalte ein ganzes Bündel von Maßnahmen.

Nun ist die Paulskirchen-Orgel beileibe aber nicht das einzige dringliche Sanierungsprojekt im Bestand der pfälzischen Landeskirche. Man denke an Kandel, wo die Restaurierung der Stiehr-Orgel gerade vor dem Abschluss steht, zu nennen sind auch Maikammer mit seiner Steinmeyer-Orgel von 1912 oder das südpfälzische Klingen mit seinem spätbarocken Instrument. Hier steht die Landeskirche mit einer überdurchschnittlichen Bezuschussungszusage im Wort. Nicht zuletzt die Orgel der Dreifaltigkeitskirche in Speyer, die hinter ihrem Barockprospekt ein komplett neues, aber stilistisch mit dem Bauwerk harmonisierendes Instrument benötigt, verharrt schon lange im Wartestand.

All das hat nur mit Fundraising der Gemeinden und Zuschüssen, beispielsweise von Denkmalschutz, Stiftung Orgelklang, Lotto und Landeskirche, Aussicht auf Realisierung. Und die Befürchtung, dass die zu erwartende Rezession nach der Pandemie diese Quellen sparsamer plätschern oder gar versiegen lässt, steht im Raum.

Kaleschke und Steuerwald sind hier zuversichtlich, zumindest was die laufenden Projektzusagen betrifft. „Es geht ja auch um das Handwerk Orgelbau, das mit dem Unesco-Titel wieder enorme Aufwertung erfahren hat und dem man nicht den Boden entziehen wird“, argumentiert Kaleschke. „Öffentliche Mittel sind zunächst nicht beeinträchtigt“, bestätigt Landeskirchenmusikdirektor Steuerwald. Allerdings rechne er mit Reaktionen in den Folgejahren – je nachdem wie sich die Wirtschaft entwickelt. „Falls der Landeskirchenrat für dieses oder die Folgejahre eine Haushaltssperre verhängt, müsste die Auszahlung von zugesagten landeskirchlichen Fördermitteln jeweils nochmals genehmigt werden.“

Michael Kaufmann, der bundesweit Orgelgutachten ausstellt, gibt ebenfalls vorerst Entwarnung. „Für Maßnahmen, die kirchenaufsichtsrechtlich genehmigt oder für dieses Jahr beantragt sind, läuft alles ohne Bremse.“ Bei Orgelprojekten fließen in diesem Jahr die staatlichen Mittel ebenso wie die der Stiftungen. Ob allerdings 2021 die Summen vergleichbar hoch sind, lasse sich noch nicht einschätzen. „Das sind politische Entscheidungen, die eine gute Vorarbeit brauchen.“ Auch deshalb stehe er mit Bundestagsabgeordneten und dem Beauftragten für Kultur und Medien in Berlin sowie Denkmalbehörden im Austausch. Er sei jedoch zuversichtlich, dass dieser „kulturwirtschaftliche Sektor des Handwerks und der Kunst“ weiter gefördert werde. Gertie Pohlit

Plädoyer für den Orgelklang

Orgelexperte Michael Kaufmann sieht gerade in Krisenzeiten wie der aktuellen Corona-Pandemie keinen Anlass, zu allumfassendem Kulturpessimismus: „Ich kann keine Anzeichen erkennen, dass Kirchengemeinden den Mut verlören, ihre Orgeln sanieren oder restaurieren zu lassen oder ein Instrument neu bauen zu wollen. Gerade die vielen Internet-Gottesdienste in der Pandemie beweisen doch, dass eine auf das Wort reduzierte Liturgie der Musik bedarf, sonst wäre der Trost- oder Hoffungsfaktor wesentlich geringer.“

Selbst mit der zumeist relativ schlechten Lautsprecher-Qualität von Fernseher oder Computer könne speziell der Orgelklang Gefühle erzeugen. „Hierbei zeigt sich, dass kein natürliches Instrument bei seiner Klangbildung der menschlichen Stimme so nahekommt, wie das bei der Orgel der Fall ist.“

Deshalb spreche die Orgel die Menschen im direkten Gegenüber und unmittelbar an. „Orgelspiel ist eine andere Art des Zuspruchs, die den rational verstandenen Text des Evangeliums und der Predigt auf einer emotionalen Ebene deutet und verinnerlicht.“ Insofern könne er den Gemeinden nur raten, auch zukünftig nicht in eine orgellose Zeit abzustürzen. „Der Verlust beim Hören und Erleben oder beim Begleiten des gemeinsamen Singens lässt sich durch nichts kompensieren.“ gpo

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