Saufen für den Führer

Die Patenweinidee im Dritten Reich • von Florian Riesterer

In der Patenstadt zu Gast: Die Winzergruppe aus Mehring während der Weinwerbewoche 1936 am Brandenburger Tor. Foto: Sammlung Werner Dorsch

Quer durch Deutschland wurden Städte für die Patenweinidee begeistert, zeigt eine Übersichtskarte des parteiamtlichen Koblenzer Nationalblatts. Foto: Nationalblatt Trier

Das erste Werbeplakat zum „Fest der deutschen Traube und des Weines“ 1935 atmet christliche Ikonografie. Foto: Sammlung Christof Krieger

Die Deutsche Weinstraße ist ein schönes Stück Pfalz und als eine der ersten touristischen Straßen in Deutschland bis heute ein Marketinginstrument. Mit der von Winzern entlehnten Idee gelang es Gauleiter Josef Bürckel ab 1935, die Gegend bekannt zu machen und den Weinabsatz anzukurbeln. Dagegen ist eine weitere Propagandaidee für deutschen Wein im Nationalsozialismus etwas in Vergessenheit geraten, die zumindest kurzfristig einen deutlich größeren Effekt auf den Weinabsatz hatte: die Weinpatenschaften.

Die Flaschen konnten getrost in hohem Bogen hinausgeworfen werden, auf den Kopf bekam sie keiner, so viele Hände streckten sich danach aus“, schreibt im Herbst 1935 die „Deutsche Weinzeitung“ über einen Winzerumzug in Berlin. Das „Fest der deutschen Traube und des Weines“ wird der Höhepunkt der Deutschen Weinwerbewoche, die nicht nur unter den Linden und am Brandenburger Tor, sondern zeitgleich in mehr als 200 Städten des Deutschen Reichs gefeiert wird. Abordnungen aus etlichen Weinorten von der Mosel, Nahe und aus der Pfalz feiern mit Patenstädten von Pommern bis ins Ruhrgebiet, vom Alpenrand bis zur Nordsee. Mehr als zwölf Millionen Liter Wein fließen dabei in die Kehlen von Männern und Frauen. Ein enormer Erfolg für die Winzer.

Denn seit dem Ersten Weltkrieg haben Weinbauern massive Absatzprobleme. Während der Weimarer Republik verschulden sich etliche Winzer, es kommt zu Winzerprotesten an der Mosel, beim Bernkasteler Winzersturm 1926 entlädt sich die Wut der Weinbauern. Die Weltwirtschaftskrise 1929 verschärft die Situation. Die Nationalsozialisten werben vor ihrer Machtübernahme, helfen zu wollen. Doch dieses Versprechen wird erst einmal nicht eingelöst, weder über einen Importstopp für Weine aus dem Ausland noch über eine Senkung der Gemeindegetränkesteuer. Stattdessen sitzen die Winzer nach einem Rekordweinjahr 1934 auf Unmengen Wein. Und das Jahr 1935 scheint ein ebenso guter Jahrgang zu werden. „In dieser Situation haben die Winzer an das Wahlversprechen erinnert und auf ideologische Grundüberzeugungen der Partei verwiesen“, sagt Historiker Christof Krieger, Leiter des Mittelmosel-Museums Traben-Trarbach. Er hat sich intensiv mit der Weinbaugeschichte des Dritten Reichs beschäftigt und über Weinpropaganda promoviert.

Die Forderungen der Winzer fallen auf fruchtbaren Boden. Zum einen passt die schon in der Weimarer Republik formulierte Forderung „Wein ist Volksgetränk“ exzellent auf den Gedanken der von den Nationalsozialisten propagierten Volksgemeinschaft und die „Blut und Boden“-Ideologie. Viel mehr aber noch sehen es die Gauleiter Josef Bürckel und Gustav Simon als große Chance, „ihren“ Gau als jeweils größtes Weinanbaugebiet in Szene zu setzen; nicht zuletzt, weil sie beide auch um den Titel des Westmarktgaus einen erbitterten Konkurrenzkampf führen, so die Thesen Kriegers.

Im selben Jahr also, in dem Bürckel die Deutsche Weinstraße eröffnet, greift Simon im Gau Koblenz-Trier die Idee des Hoteliers Robert Schöpwinkel auf. Dieser hatte zum Reichsweintag in Düsseldorf eine Delegation des Winzerorts Wiltingen an der Mosel eingeladen, die den entsprechenden Wein im Gepäck hatte – ein voller Erfolg. Die Idee kommt im Gau an, auch darüber hinaus, „obwohl Bürckel die Werbung vor Ort versucht hat zu unterdrücken“, sagt Historiker Krieger.

Schmackhaft gemacht werden muss der Slogan „Wein ist Volksgetränk“ auch der Antialkoholbewegung, die in Deutschland lange Tradition hat. Außerdem steht die Idee im Gegensatz zur Rassenlehre Hitlers, einem überzeugten Abstinenzler. 10000 Alkoholkranke wurden gar in Konzentrationslagern getötet. „Der Widerspruch wurde aufgelöst, in dem nicht der Alkohol als solcher, sondern dessen Missbrauch verdammt wurde“, sagt Krieger. Hitler sei sogar Nachsicht gegen geringen Konsum von Alkohol in den Mund gelegt worden. Dafür sei gar die religiöse Toleranz Friedrich des Großen bemüht worden, hat der Historiker in Quellen entdeckt.

Vom 19. bis 26. Oktober schließlich findet das erste „Fest der deutschen Traube und des Weins“ statt, die „Deutsche Weinzeitung“ spricht von „allgemeiner Mobilmachung der Weintrinker“. Allerdings seien die Premiere dieses Fests und die zahlreichen Weinpatenschaften – anders als es Simon für sich verkauft –, nicht wirklich zentral vom Parteiapparat gesteuert gewesen, bemerkt Christof Krieger. Nicht unterstützt wird die Propaganda etwa vom Reichsbauernführer und Reichsernährungsminister Richard Walther Darré, der die Winzer nicht als vollwertige Bauern ansieht. Stattdessen ist vieles an der Aktion improvisiert und echter Solidarität geschuldet. „NS-Frauengruppen haben etwa Leergut gesammelt für Winzer“, sagt Krieger. Die Patenidee habe Eigendynamik entwickelt.

So feiern die Patenstädte mit Umzügen, Theaterstücken und Feuerwerk. Girlandengeschmückte Lastwagen oder Eisenbahnwaggons mit Wein werden mit Musik und Tanz verabschiedet, Patenurkunden ausgetauscht, Weinlotterien veranstaltet und Ausflugsfahrten organisiert. Alles, was den Absatz erhöht, ist erwünscht. In Hildesheim führt die NS-Frauenschaft in einer Veranstaltung vor, wie Wein im Haushalt verwendet werden kann, in Eisenach erhält jeder Theaterbesucher einen viertel Liter Wein, in Mittweida werden Brautpaaren in der Weinwerbewoche zwei Flaschen zusätzlich zu „Mein Kampf“ gereicht; auch Ehepaare, die während der Weinwerbewoche Eltern werden, kommen in den Genuss kostenlosen Rebensafts.

Bei den Umzügen laufen neben Winzerabordnungen auch Böttcher, Küfer und Branntweinbrenner mit, dazu Vertreter aus dem Korkhandel, dem Gaststättengewerbe und dem Einzelhandel. Zur Schau gestellt wird dabei auch oft eine Karikatur des vorgeblichen „jüdischen Weinschmierers“ – eine Puppe mit Galgen und Schlinge. Jüdische Weinhändler mussten lange als Sündenböcke für die Absatzkrise der Winzer herhalten. Die Legende, 60 bis 80 Prozent des Weinhandels seien in jüdischer Hand gewesen, halte sich teilweise bis heute in Publikationen, sagt Krieger. In 180 Winzerdörfern an der Mosel komme er dagegen nicht mal auf zehn jüdische Weinhändler, sagt er über seine Forschungen.

Ökonomisch ist die Patenschaftsidee ein Erfolg – unter anderem auch, weil die deutsche Brauwirtschaft dem „nationalen Gesichtspunkt Rechnung tragen muss“, wie sie offenbar auf Druck der NSDAP verkündet. Mancherorts ist jeder Alkoholausschank außer Patenwein verboten. Akribisch listet der „Deutsche Weinbau“ Städte mit vorbildlichem Weinkonsum während der Werbewoche 1935 auf: Sieger wird das oberfränkische 15000-Einwohner-Städtchen Selb mit 1,54 Litern pro Person, das dafür aus seinem pfälzischen Patenwinzerort St. Martin 20000 Liter Rebensaft bezogen hatte. Andere Listen sehen den Fürther Vorort Zirndorf mit 2,5 Litern pro Kopf ganz vorn. Dass der viele für die Volksgemeinschaft getrunkene Alkohol auch Nebenwirkungen in Sachen Gemeinschaftsgefühl zeigt, wundert nicht. In Braunschweig sieht sich die Gauleitung nach ausufernden Schlägereien sogar gezwungen, eine groß angelegte Amnestie zu erwirken.

Nach einer weiteren Rekordweinernte wird das Fest des deutschen Weins 1936 noch generalstabsmäßiger wiederholt – bis hin zu einheitlichen papiernen Halsschleifen des Patenweins. Jede Kommune mit mehr als 5000 Einwohnern bekommt mindestens eine Patengemeinde zugeteilt, bis Ende August sagen 900 Patenstädte ihre Beteiligung zu. Weil allerdings Winzerorte danach trachten, möglichst gewinnbringende Paten zu ergattern und teils ein munterer Patenwechsel zum Vorjahr einsetzt, wird die Patenschaftsidee doch zumindest aus psychologischer Sicht arg verwässert. Dazu kommt, dass größere Städte gleich mehrere Patenschaften eingehen. Berlin bekommt 1936 so Patenwein aus Hambach, Duchroth, Mehring, Zeltingen und Oppenheim. Immer noch torpediert Saarpfalz-Gauleiter Josef Bürckel die Idee des Konkurrenten, was sogar darin gipfelt, dass nicht einmal die aktuelle pfälzische Weinkönigin in die Reichshauptstadt fahren darf, sondern mit Lilly Seitz lediglich ihre Vorgängerin. Simon dagegen nutzt das rauschende Fest wieder einmal, sich selbst zu loben, sieht die „sozialistische Hilfsbereitschaft einer auf Gedeih und Verderb zusammengeschlossenen Nation“.

Doch der Slogan „Wein ist Volksgetränk“ erweist sich schließlich als Bumerang. Als im Herbst 1936 Fröste die Weinernte weitgehend zunichtemachen und in der Folge die Weinpreise steigen, setzt die NS-Führung Höchstpreise fest. Die Folge sind teils Weinpanschereien, niemand will die wenigen guten Tropfen auch noch als Patenwein billig unters Volk bringen. „Was beispielsweise unter dem Sammelbegriff Bernkasteler Riesling segelte, wird gewiss nicht zum Ruhme des gesegneten Orts beitragen“, bemerkt im Oktober 1937 die „Rheinische Zeitung“. Offenbar sei „ein Schuss Wasser in die Patenweinidee geraten“. Tatsächlich ist die Verbundenheit mit den Winzern 1937 dahin, das Fest zum Selbstzweck verkommen mit teils sonderbaren Auswüchsen. So wird jetzt sogar Patensekt als neues Feiertagsgetränk eines jeden Volksgenossen propagiert, während sich Gustav Simon an der Mosel mit einem „Weinfest der Westmark“ als rechtmäßiger Träger dieses Gaunamens zu inszenieren versucht – letztlich erfolglos.

Bezeichnenderweise wird der Ideengeber der Patenschaftsidee, Hotelier Robert Schöpwinkel, im Februar 1937 wegen Untreue zu vier Jahren Gefängnis und 60000 Reichsmark Strafe verurteilt. Die Rivalität Bürckels und Simons um das größte Weinanbaugebiet findet schließlich auch noch ein Ende, allerdings anders als erwartet. Als im März 1938 die Nationalsozialisten Österreich an das Deutsche Reich „anschließen“, liefert der neue Gau Ostmark über Nacht den meisten Wein.

Christof Krieger: Wein ist Volksgetränk. Weinpropaganda im Dritten Reich. Rhein-Mosel-Verlag, 2018. 512 Seiten, 32,90 Euro. ISBN 978-3898013550

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