Kinder in der Kirche ernst nehmen

Urd Rust zieht nach 16 Jahren als Pfarrerin für die Kindergottesdienst-Arbeit in der Landeskirche Bilanz

Corona setzt Kreativität frei: Zum Beispiel, wie hier im Bild gezeigt, wenn Mitarbeiter in Siebeldingen den Erntedank-Kindergottesdienst nach draußen verlagern. Foto: pv

Blickt auf beglückende Begegnungen als Pfarrerin für Kindergottesdienst-Arbeit zurück: Urd Rust in ihrem Kaiserslauterer Büro. Foto: KB

An diesem Wochenende wird Urd Rust, Pfarrerin für die Kindergottesdienstarbeit in der Landeskirche, bei einem feierlichen Gottesdienst in der Kaiserslauterer Stiftskirche in den Ruhestand verabschiedet. Auf den Tag genau 16 Jahre ist es her, dass Rust dort als Nachfolgerin von Heinz Scheuermann in ihr Amt eingeführt wurde.

Rust, in Köln geboren und in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein in einem baptistischen Elternhaus aufgewachsen, kommt schon als Kind in Kontakt mit Glauben und Kirche. „Meine Mutter hat uns sechs Geschwistern immer nach dem Mittagessen eine Geschichte aus der Kinderbibel vorgelesen“, erinnert sie sich. An dem durch jene Bibelausgabe vermittelten „autoritären Gottesbild“ denkt sie mit Grausen zurück, auch wenn sie dadurch eine „profunde Bibelkenntnis“ erhalten habe. Als Theologiestudentin begeistert sie sich, auch geprägt durch Wolfgang Longardt, für das Elementarisieren und die Kreativität in der Gottesdienstarbeit mit Kindern.

„Im Grunde genommen habe ich damals angefangen, Theologie zu betreiben“, sagt Rust rückblickend. Das Vermeiden komplizierter theologischer Sprache, die gleichzeitig vieles an Inhalt vertusche, ist ihr bis heute Anliegen. Rust wehrt sich gegen Vorwürfe an die Methode. „Oft wird dem Elementarisieren Banalität unterstellt. Das sei ja „nur Liturgie für Kinder“, heiße es oft. Vikare hätten deshalb Scheu davor. Erst in den letzten Jahren habe die Einfachheit von Begriffen, die Reduktion auf das Wesentliche unter dem Begriff „leichte Sprache“ mehr Akzeptanz gefunden. Ärgern könne sie sich dagegen immer wieder, wenn sie in Büchern für Kinder auf eine kindische statt eine kindgerechte Sprache stoße.

Für Rust wirkt Kirche mit Kindern in den Gottesdienst mit Erwachsenen hinein. „Wenn jemand lebendigen Gottesdienst mit Kindern halten kann, merkt man das dem Erwachsenengottesdienst an.“ Kinder seien kritische Zuhörer, spiegelten das Auftreten als Pfarrerin oder Pfarrer direkt wider. Dennoch, Kirche mit Kindern habe immer noch den Stempel des weniger wichtigen. Kinder würden oft nur als schmückendes Beiwerk gesehen, beispielsweise an Erntedank oder beim Krippenspiel, oder – in jüngster Zeit vermehrt – auf einen Sockel gehoben. Anders als von der EKD-Synode 1994 in dem „Perspektivenwechsel“ so vehement gefordert, würden sie als Gemeindemitglieder selten für voll genommen, sagt Rust.

Erkannt habe die Landeskirche längst, dass die Kinder die Zukunft der Kirche sind. Doch die Umsetzung, die Konsequenzen blieben aus. „Wenn wir davon tatsächlich überzeugt sind, müssen wir die Kinder in der Gegenwart wahrnehmen, finanziell und strukturell ernst nehmen und vor allem beteiligen“, warnt Rust. „Sonst gehen sie uns nämlich verloren.“

Ihre Position vertreten, „genetzwerkt“ hat Rust in all den Jahren quer durch die Pfalz – und darüber hinaus. Gottesdienste vor Ort in den Gemeinden, Kinderkirchentage auf Dekanatsebene, Kindergottesdiensttage für die Mitarbeitenden in der Landeskirche und Gesamttagungen auf EKD-Ebene bezeichnet die 65-Jährige rückblickend als Würze ihrer Arbeit. Dazu kämen etliche Ehrenamtliche, „die sich auf Neues einlassen, Ideen aufnehmen und weitertreiben, mit Begeisterung bei der Sache sind“.

Verbesserungsbedarf sieht sie bei der Kommunikation. „Die größte Herausforderung ist, an die Leute heranzukommen“, sagt Rust aus ihrer Warte des übergordneten Diensts. Teils seien Pfarrerinnen und Pfarrer einfach überlastet. Vieles komme so nicht in der Fläche an, etwa der Beschluss der Landessynode 2006, alle getauften Kinder zum Abendmahl zuzulassen.

„Ich erschrecke manchmal, dass sowohl Eltern als auch Presbyterinnen und Presbyter, ja sogar Kolleginnen und Kollegen, das Gesetz gar nicht kennen und es immer noch als Entscheidung der Pfarrperson vor Ort betrachten“, sagt Rust. Dass damit eine intensive Vorbereitung der Kinder nötig wird, sei oft aus dem Blick geraten. Vielleicht sei es Zeit, manche Themen der letzten Jahre, die erledigt schienen, wieder aufzugreifen, gibt Rust ihrem Nachfolger Stefan Mendling mit auf den Weg.

Mendling wird dann dass Pfarramt für Gottesdienste mit Kindern und Familien leiten. Dass sich der Name des Pfarramts ändert, sieht Rust als Indiz dafür, die verengte Sicht auf den Kindergottesdienst aufzugeben. Schließlich sei der Kindergottesdienst am Sonntagmorgen auf dem Rückzug, an seine Stelle seien monatliche Gottesdienstangebote, Krabbelgottesdienste und regionale Angebote wie Kinderbibeltage getreten. „Gottesdienst muss sich an dem ausrichten, was Eltern leisten können“, sagt Rust ganz nüchtern.

Langweilig wird es Rust auch im Ruhestand nicht werden. Dafür sorgen alleine schon ihre fünf Enkel. Die hat sie die vergangenen Jahre fürs Jäten und Pflanzen begeistert, schließlich ist der Garten ihr zweites Hobby – sei es zu Hause in Rockenhausen oder bei ihren vier Kindern. Das weiß, wer jemals in den Genuss ihrer leckeren Geschenke kam. Gut möglich, dass sie im Ruhestand nun noch häufiger zum Marmeladekochen kommt. Florian Riesterer

Jeden Gottesdienst vom Kind her denken

Kinder und ihr Verständnis von Lebenswirklichkeit, an diesem Punkt will Stefan Mendling ab Februar im Pfarramt für Gottesdienste mit Kindern und Familien anknüpfen. Angebote, die Kinder ernst nehmen, ließen Nachdenken zu, erdrückten sie nicht mit vorformulierten Antworten. „Kinder haben ein feines Gespür für religiöse Fragen“, sagt Mendling, selbst Vater von vier Kindern.

Je mehr die Kinder im Gottesdienst gefragt seien, desto nachhaltiger sei der Gottesdienst – auch für Eltern, die sie begleiten. In Gottesdiensten wiederum, bei denen Kinder vor der Predigt herausgenommen werden, vermittle die Gemeinde den Kindern das Gefühl: Predigt ist nichts für euch. Dieses Gefühl setze sich dann fest. Wenn Kinder auf diese Weise nicht einbezogen würden, verlören sie als Jugendliche und Erwachsene die Sprachfähigkeit im Glauben, sagt Mendling. Langfristig sollte deshalb jeder Gottesdienst vom Kind her gedacht, jeder Gottesdienst ein Familiengottesdienst werden. Dieser sollte Eltern nicht das Gefühl geben, mit ihren Kindern fehl am Platz zu sein. Gleiches gelte auch für Beerdigungen und Taufen. „Dafür braucht es eine eigene Kinder-Agende.“

Zwar habe die EKD-Synode 1994 einen Perspektivwechsel angestrengt, sagt der Pfarrer. Was für diesen fehle, sei aber nichts anderes als eine neue Theologie, die den Kindern jene zent­rale Rolle in der Gemeinde zumesse, die sie – von Isaak über Moses bis zu Jesus – auch in der Bibel haben.

Er wisse, dass ein vom Kind her gedachter Gottesdienst immer aufwändig sei, sagt Mendling, der mehr als sechs Jahre lang Gemeindepfarrer war und Kinder- und Familiengottesdienste in Albersweiler gestaltet. Deshalb wolle er Ehrenamtliche und Hauptamtliche stärken. Schwerpunkte wolle er bei Methodenkompetenz setzen, beispielsweise „Godly Play“, Erzähltheater oder Bibliolog. Gottesdienste müssten erlebbar werden. Digitale Formate sieht er nicht erst seit der Corona-Pandemie ebenfalls als wichtigen Baustein. flor

Meistgelesene Artikel