Haltung zu Israel ist von Ideologie dominiert

von Klaus Koch

Klaus Koch

An diesem Sonntag feiern evangelische Christen in Deutschland den Israelsonntag. Er hat das Verhältnis von Christen und Juden zum Thema. Damit führt er mitten in die theologisch, historisch und politisch komplexeste Debatte, die in der Kirche zu finden ist. „Wie hältst du es mit Israel?“, lautet die Gretchenfrage. Die eine Seite gebärdet sich dabei so, als sei sie Teil der israelischen Propaganda. Unrecht gegenüber den Palästinensern, Verstoß gegen Uno-Resolutionen, Demokratieabbau, exzessiver Siedlungsbau, illegitimer Atomwaffenbesitz, rigoroser Mauerbau, korrupte Regierung – alles wird kleingeredet mit Hinweis auf die Bedrohungslage Israels und die historische deutsche Schuld.

Die andere Seite hingegen argumentiert maßlos, sieht einen Bekenntnisnotstand wie er nur noch beim südafrikanischen Apartheidsystem und in Nazi-Deutschland gegeben war. Die Lage in den Palästinensergebieten wird mit Konzentrationslagern verglichen, von ethnischen Säuberungen ist die Rede. Fazit: „Südafrika war ausbeuterisch und unterdrückerisch. Das reicht nicht für die Beschreibung Israels. Dessen Intention ist es, die Menschen minderen Rechts komplett loszuwerden und die Übrigbleibenden zu gettoisieren“, sagt etwa der emeritierte evangelische Theologieprofessor Ulrich Duchrow. Und ergänzt: „Israel ist eine Speerspitze der gegenwärtigen Phase des globalen imperialistischen Systems und ein Extrembeispiel der westlichen kolonialistischen, kapitalistischen, imperialen, wissenschaftlich-technischen, gewalttätigen Eroberungskultur der letzten 500 Jahre.“

Israel wird kritisiert mit allem, was das ideologische Arsenal hergibt. Alle gegenwärtigen und vergangenen Kriege, Massaker, religiösen Verfolgungen, Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückungssysteme dieser Welt verblassen daneben zu bedauerlichen, aber doch irgendwie hinzunehmenden Spitzbübereien. Diese Doppelmoral begründet den Anfangsverdacht des Antisemitismus.

Die deutsch-protestantischen Israelkritiker erklären ihre aggressive, sich zum Hass steigernde Haltung gegenüber Israel auch mit der Verpflichtung, Konsequenzen aus den Menschheitsverbrechen der Nationalsozialisten zu ziehen. Implizit lautet der ­gruselige Vorwurf an Israel: Wir als ehemalige Täter haben gelernt, was richtig ist. Ihr als ehemalige Opfer nicht. Den Argumenten dieser Kritiker liegt ein überheblicher Wahrheitsanspruch zugrunde. Sie haben historisch gelernt, die deutsche Schuld aufzuar­beiten, und sie haben theologisch ­gelernt, den protestantischen Antijudaismus zu überwinden.

Aus dieser Gedankenleistung leiten sie nun das Recht ab, Israel mit moralisch höheren Ansprüchen zu bewerten als den Rest der Welt. Es wird noch vieler ­Israelsonntage bedürfen, um in dieser irrwitzigen Kontroverse im deutschen Protestantismus Ideologie durch ­Vernunft zu ersetzen.

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