Die Dokumentation: Eine Botschaft aus Rom mit Folgen

Kritik deutscher Bischöfe an Vatikanpapier verdeutlicht Suche nach neuen Wegen • von Martin Bräuer

Zum Leiten geweiht: Nach Ansicht Roms dürfen nur Priester Gemeinden führen. Foto: epd

Am 20. Juli 2020 wurde die Instruktion „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche“ von der Kleruskongregation des Vatikans veröffentlicht, welche für die Belange der weltweit etwa 414000 katholischen Priester zuständig ist. Eine Instruktion ist von ihrer Gattung her eine Anwendungsrichtlinie für geltende Rechtsnormen, welche für die gesamte römisch-katholische Kirche gilt. Die Entstehungsgeschichte der Instruktion reicht ein Jahrzehnt zurück und damit in die Amtszeit von Benedikt XVI. Seit dem ersten Entwurf 2011 wanderte das Papier durch verschiedene Kurienbehörden hin und her.

Für die Veröffentlichung unter Papst Franziskus wurde das Dokument mit einem Einleitungs- und Schlussteil versehen, die einen besonderen Akzent auf die von Franziskus gewünschten kirchlichen Aufbrüche legen. Das erklärt auch, warum Rahmenteile und Hauptkorpus in der Stoßrichtung merklich divergieren: Eingangs stellt die Instruktion fest, dass das Territorialprinzip nicht mehr zu dem passt, was Gläubige in einer mobilen und digitalen Welt als ihren Lebensraum wahrnehmen; es geht um „Umkehr“, um „neue Wege“ in der Evangelisierung und ein entsprechendes Überdenken der Profile von Priestern, Laien und Pfarreien.

Diese Terminologie von „Neuheit“ und „Dynamik“ fehlt fast völlig im Mittelstück, wo auf der Basis des Kirchenrechts von 1983 eingeschärft wird, dass nur Priester Pfarrer werden können. Und auch wenn Laien wegen Priestermangels an der Pfarrseelsorge beteiligt werden, muss die Letztverantwortung immer bei einem Priester liegen. Deshalb, so die Instruktion, könne das Amt des Pfarrers „keiner aus Klerikern und Laien bestehenden Gruppe“ übertragen werden, weshalb Ausdrücke wie „Leitungsteam“ zu vermeiden seien. Die Leitung durch Teams mit ehren- oder hauptamtlichen Laien wird in einer Reihe von deutschen Bistümern entweder schon praktiziert oder erprobt oder ist geplant.

Auch den Bistumsreformen, die vielerorts im Gange sind, schiebt die Instruktion einen Riegel vor: Mit einem einzigen Rechtsakt die ganze Diözese neu zu ordnen, sei nicht mit dem Kirchenrecht vereinbar. So argumentierte der Vatikan schon in der Frage der umfassenden Pfarreireform im Bistum Trier. Gegen diese Reform hatten einige Priester bei der Kleruskongregation Beschwerde einlegt, weil sie sich weder gehört noch ernst genommen fühlten. Im Ergebnis musste der Trierer Bischof Stephan Ackermann die bereits begonnene Umsetzung der Reform aussetzen und nachbessern. Die Kritiker solcher Reformen dürfen sich bestätigt fühlen, denn – so die Instruktion – bei Zusammenlegung von Pfarreien seien nur Einzelfallentscheidungen erlaubt. Ebenso dürfen die Bistümer nicht einfach Kirchen schließen: Weder Priestermangel noch Bevölkerungsrückgang, ja noch nicht einmal eine „schwerwiegende finanzielle Krise“ seien legitime Gründe für eine Profanierung.

In Deutschland gingen die Wogen hoch. Denn es war schnell klar, dass das Papier Folgen für die Reformprozesse in den Bistümern und auch den Synodalen Weg hat. Theologen, die keine Weihe empfangen haben, bilden hier schon länger das Rückgrat der Seelsorge. Und aktuell befinden sich beinahe alle Bistümer in ähnlichen Restrukturierungsprozessen. Deren Notwendigkeit ergibt sich in erster Linie aus der immer geringer werdenden Zahl von Priestern im aktiven Dienst, aber auch aus dem stetigen Rückgang der Mitgliedszahlen.

Der stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Franz-Josef Bode aus Osnabrück, gehörte zu den Ersten, die das Schreiben kritisierten. Es sei eine „starke Bremse der Motivation und Wertschätzung der Dienste von Laien“, und er habe erwartet, dass sich Rom vorher besser mit den Realitäten vor Ort vertraut mache. Wenn der Vatikan Laien von der Gemeindeleitung ausschließe – auch als Teil von Leitungsteams – und die Rolle der Priester so hervorhebe, sei das eine „Umkehr zur Klerikalisierung“. Die dargestellten Normen seien zum großen Teil von der Realität längst überholt. Er sei in Sorge, „wie wir unter solchen Bedingungen neue engagierte Christen finden sollen“. Auch der Münchner Kardinal Reinhard Marx äußerte Befremden: „Es ist schon merkwürdig, wenn ein Dokument von Rom kommt, ohne dass jemals mit uns darüber gesprochen wurde.“ Die Instruktion habe Misstrauen gesät und Gräben vertieft.

Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf betonte, dass er diesen „Eingriff“ in sein bischöfliches Amt „nicht so einfach hinnehmen“ könne. Nach dem Schreiben sorge er sich „um die vielen (noch) Engagierten“. Diese könnten bald „genug davon haben, wenn ihr Engagement nur misstrauisch beäugt und von oben herab bewertet wird“. Außerdem sorge er sich um die Priester. „Schon jetzt können wir vakante Stellen nicht besetzen. Viele Priester klagen über Überforderung im Blick auf Verwaltung und Bürokratie.“

Für Bambergs Erzbischof Ludwig Schick bringt das Schreiben „mehr Schaden als Nutzen“. Es sei theologisch defizitär, vernachlässige neue Entwicklungen und gehe nicht auf die Situation der Kirche vor Ort ein. Die Bischöfe von Trier und Essen, Stephan Ackermann und Franz-Josef Overbeck, bemängelten zudem, dass die Instruktion kein Wort zu den Missbrauchsfällen und zu klerikalem Machtmissbrauch sage. „Wie kann eine Kongregation, die für den Klerus zuständig ist, im Jahr 2020 ein Dokument verfassen, in dem darauf nicht einmal Bezug genommen wird?“, fragte Ackermann.

Diese ungewöhnlich deutlichen kritischen Stimmen waren in dieser Form neu. Bisher überging man eher missliebige römische Dokumente und äußerte sich entweder verhalten oder gar nicht zu ihnen. Aber es gab auch zustimmende Äußerungen. Der Kölner Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki, selbst Mitglied der Kleruskongregation in Rom, lobte als Erster das Papier. Es gebe viele Anregungen für einen missionarischen Aufbruch der Kirche: „Zugleich ruft es uns Grundwahrheiten unseres Glaubens in Erinnerung, die wir gerade in Deutschland vielleicht manchmal aus dem Blick verlieren, wenn wir zu sehr mit uns selbst beschäftigt sind.“

Positiv würdigte auch der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke das Papier, welches „viele wertvolle Impulse“ für den missionarischen Aufbruch gebe. Er warnte zugleich davor, in der Instruktion „einen Kampf um die Rollen in der Kirche zu sehen oder nun das Verlierer-Sieger-Schema zu bemühen“. Als einer der Letzten begrüßte Regensburgs Bischof Rudolf Voderholzer das Schreiben. Dass die Letztverantwortung in einer Pfarrei nur dem Pfarrer zukommen könne, sei eine Selbstverständlichkeit. Kirche sei keine „Quasi-Demokratie“, ergänzte Voderholzer und erteilte Großpfarreien eine Absage.

Der emeritierte Kurienkardinal Walter Kasper bemängelte, dass einige Stimmen zur Instruktion deren eigentliche Intention verfehlen würden: „Die deutsche Kritik geht am eigentlichen Anliegen der Instruktion, der pastoralen Umkehr zu einer missionarischen Pastoral, völlig vorbei.“ Offensichtlich habe man in Deutschland die ersten Kapitel und die Zusammenfassung überlesen, denn darin würde ausführlich die gemeinsame „Verantwortung des gesamten Volks Gottes und von der ganzen Gemeinde als Subjekt“ einer solchen missionarischen Seelsorge thematisiert. Kasper zeigte sich über die Ausführungen zur Stellung des Pfarrers dankbar, „denn die Dauerdiskussion über Zölibat, Frauenpriestertum und Leitungsteams führt dazu, dass kein junger Mensch mehr weiß, auf was er sich einlässt, wenn er sich für den Priesterberuf entscheidet“.

Am 29. Juli bot Rom nach der zum Teil harschen Kritik deutscher Bischöfe ein klärendes Gespräch an. Die Kleruskongregation werde die Bischöfe gern empfangen, um deren Zweifel und Verblüffung zu beseitigen, sagte deren Vorsitzender Kardinal Beniamino Stella, einer der engsten Vertrauten von Papst Franziskus. Allerdings wandte sich Stella in einem Interview mit der italienischen Tageszeitung „La Stampa“ gegen die Auffassung, eine Pfarrei könne „von jedermann geleitet werden“. Die deutschen Bischöfe entschieden am 24. August 2020, dieses Gesprächsangebot anzunehmen.

Pünktlich zum 150. Jubiläum der Papstdogmen auf dem Ersten Vatikanischen Konzil (18. Juli 2020) war diese Instruktion erschienen. Die Reaktionen darauf zeigten, dass das in diesen Texten grundgelegte romzentrierte Kirchenbild nicht mehr trägt, sondern die katholische Kirche auf der Suche nach neuen Wegen ist. Der Papst selbst wünscht sich eine synodale Kirche, welche die Betroffenen von Entscheidungen mit einbezieht. Dies war hier nicht geschehen. So darf man gespannt sein, wie sich „Synodalität“ in der katholischen Kirche weiter fortentwickelt.

Pfarrer Martin Bräuer ist Catholica-Referent am Konfessionskundlichen Institut in Bensheim. Der Beitrag erschien im Materialdienst Nummer 5/2020 des Instituts.

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