Der Kampf gegen die Bilder im eigenen Kopf

Rassistische Denkmuster sind auch in Deutschland bei vielen Menschen noch immer fest verankert – Perspektive der Betroffenen kann helfen

Achtung Vorurteil: Die Aussage „Schwarze können gut tanzen“ macht alle schwarzen Menschen zu einer Gruppe. Foto: epd

Es ist Samstagmorgen. Im ZDF läuft Pippi Langstrumpf. Ein wenig Nostalgie kann nicht schaden. Ich sehe mir den Film fast bis zum Schluss an – mit derselben Begeisterung wie als Kind.

Nur einmal schrecke ich zurück. Hat Pippi wirklich gesagt, dass ihr Vater „Negerkönig“ war? Fassungslos tippe ich das böse Wort auf meinem Handy in die Suchmaschine. Tatsächlich, es ist sogar „das“ Paradebeispiel für rassistisches Gedankengut aus Kindheitstagen. Ich habe Pippi Langstrumpf als Kind mehrfach gesehen. In meiner Erinnerung taucht das N-Wort nicht auf. Plötzlich fühle ich mich schlecht.

Als ich einige Wochen später an dem Antirassismus-Webinar der Bildungsstätte Anne Frank teilnehme, holt mich dieses Gefühl wieder ein. Doch so wie mir geht es offenbar vielen. Das jedenfalls deuten die beiden Referentinnen, Deborah Krieg und Aylin Kortel, zu Beginn des zweistündigen Webinars an. Die Fortbildung soll dafür sensibilisieren, Formen von Rassismus zu erkennen und die Perspektiven von Betroffenen ernst zu nehmen.

Zum Einstieg zeigen die Referentinnen zwei Bilder. Eines zeigt schwarze Kinder mit einer weißen Frau, das andere weiße Kinder mit einer schwarzen Frau. Was sind eure ersten Eindrücke, fragt Krieg und betont: Wir sollen ehrlich sein. Übereinstimmend schätzen wir, dass das erste Bild eine Frau aus der Entwicklungshilfe mit hungrigen schwarzen Kindern in Afrika zeigt, Bild zwei eine gut situierte weiße Familie mit einem schwarzen Kindermädchen. Erwischt. Da sind sie also schon, die Bilder in den Köpfen. Ganz normal, beruhigen uns die Referentinnen. Normal und trotzdem nicht gut.

Auch mit Aussagen wie „Schwarze können gut tanzen“ würden schwarze Menschen zu einer Gruppe gemacht. Dabei gebe es nicht „die“ Schwarzen. Ja, ich weiß. Und trotzdem ertappe ich mich erneut dabei, dass ich solche Sätze auch schon im eigenen Familien- und Freundeskreis gehört und mich nicht völlig darüber empört habe. Vielleicht, weil ich die Menschen gut kenne und ihnen keine böse Absicht unterstelle. Immerhin: Anderen aus der Gruppe geht es auch so, wie sie erzählen.

Ich denke an meine Kindheit zurück, und ich frage mich: Haben meine Eltern bei der Erziehung etwas falsch gemacht? Hätten sie mich aufklären müssen, wenn wir im Kindergarten voller Freude „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ gespielt haben? Eine Antwort darauf finde ich nicht. Aber es beschäftigt mich.

Im Webinar habe ich Louisa kennengelernt. Sie ist 24 Jahre alt, wohnt in Frankfurt und ist schwarz. Rassismus erlebe sie häufig, sagt sie. Schon in der Schule hat die Sozialarbeiterin die Frage „Wo kommst du her?“ aufgeregt. Ihr Umfeld hatte ihr immer wieder eingeredet: „Du bist übersensibel“, erinnert sich die junge Frau.

Louisa ist auf dem Land groß geworden. Ihre Mutter ist weiß, ihr Vater kommt aus Nigeria. Der Rest der Familie in Deutschland ist ebenfalls weiß. Da steht sie bei Familienfeiern oftmals alleine da als schwarze Frau. Wenn blöde Sprüche kommen, müsse sie sich ständig entscheiden zwischen Schweigen oder das Wort ergreifen. Dann eskaliert es aber, wie Louisa sagt.

Auch Sabine aus Köln erlebt regelmäßig Rassismus. Sie ist seit 19 Jahren mit einem togostämmigen Mann verheiratet. Die 58-Jährige arbeitet bei der Stadtverwaltung im Integrationszentrum. Zwölf Jahre lang lebte sie mit ihrem Mann in Westafrika, inzwischen wieder in Deutschland.

„Das fängt schon bei Behörden an. Wenn ich mitgehe, wird nur mit mir gesprochen“, berichtet die Kölnerin. Auch im Freundeskreis wird das Schwarz-Sein ihres Mannes schnell zum Thema. „Da kommen Fragen wie: Hast du viele Geschwister und als Ältester auch das Sagen?“ Das sei nicht böse gemeint. Belastend sei es trotzdem. Sowohl für ihren Mann als auch für sie. Immer sei sie die „Frau des Exoten“.

Ich kann mir vorstellen, wie sich Louisa und Sabine fühlen. Wobei? Kann ich das wirklich? Ich bin weiß. Und manchmal fühle ich mich deswegen schlecht, ja sogar schuldig. Schuldig für die Diskriminierung und Benachteiligung von schwarzen Menschen. Auch wenn ich nicht daran beteiligt bin.

Schuld wäre hier das falsche Wort, wie mir Matthias Blöser vom Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau erklärt. Trotzdem: Es gibt strukturellen Rassismus in Deutschland. Diesen zu bekämpfen, sei Aufgabe von uns allen. Schnell fühlten sich Menschen, die sich – wenn auch unbewusst – rassistisch äußern, angegriffen. „Bilder in den Köpfen haben wir alle“, erklärt der Politikwissenschaftler. Das bedeute nicht, dass alle Rassisten sind. Es gehe aber darum, sich dieser Bilder bewusst zu sein, betont er. Die Menschen müssten schon früh in der Schule für das Thema sensibilisiert werden und Rassismus „verlernen“.

Das Webinar hat mir gezeigt, dass rassistische Denkmuster tief in uns verankert sind. Ich bin ins Nachdenken gekommen. Das ist viel wert. Pauschale Aussagen wie die Sache mit „Schwarze tanzen gut“, würde ich vermutlich beim nächsten Treffen mit Familie oder Freunden nicht unkommentiert lassen. Ich möchte zwar nicht den moralischen Zeigefinger erheben, aber den Austausch suchen. Carina Dobra

Bildungsforscher: Rassismus schadet allen

Der Bochumer Bildungsforscher Karim Fereidooni fordert eine Auseinandersetzung „mit den rassistischen Bildern in unseren Köpfen“. „Wir reden von einem Trugbild, das seit Jahrhunderten transportiert wird und unser Denken und Handeln bestimmt.“ Rassismus schade allen, sagt Fereidooni.

Rassistische Vorstellungen erlernten schon Kinder. „Ab etwa drei Jahren erkennen Kinder, welche Machtpositionen Menschen haben und welche Muster dahinterstehen“, sagt der Juniorprofessor, der an der Ruhruniversität zu Rassismus an Schulen forscht. So lernten Kinder zum Beispiel, dass Männer mit weißer Haut für wichtige Berufe und Entscheidungen stehen.

Transportiert würden die Einstellungen durch Alltagsbeobachtungen, aber auch durch Figuren in Kinderbüchern. „So wird Rassismus erlernt – und zwar von allen.“ Eine wichtige Rolle spielten auch Schulinhalte. Die sollten dringend überprüft werden, fordert Fereidooni. Komme Rassismus jenseits der NS-Zeit nicht als Thema vor, entstehe bei Schülern der Eindruck: Rassismus haben die Nazis gemacht. Das ist jetzt zu Ende. Auch die Kolonialzeit komme in der Schule zu kurz, obwohl sie stark nachwirke. „Das Bild vom arabischen Macho hat Traditionen aus der Zeit der Kreuzzüge, die Idee von Menschenrassen mit unterschiedlichen Eigenschaften kommt aus der Kolonialzeit.“

Für Fereidooni ist deshalb klar, dass das Wort „Rasse“ aus dem Grundgesetz verschwinden muss. „Es gibt keine biologischen Menschenrassen: Das Konstrukt wurde erschaffen, um Kolonialismus zu rechtfertigen.“ Sprache bestimme das Bewusstsein, „Rasse“ im Grundgesetz legitimiere und verfestige die falsche Kategorie. Deshalb müsse das Wort gestrichen werden. „Es ist wichtig, hier Symbolpolitik zu betreiben – und zu symbolisieren, dass es Rasse nicht gibt.“ Für Lehrer fordert Fereidooni verpflichtende Fortbildungen zum Thema Rassismus. „Rassistische Vorgänge zwischen Schülern aufdecken und klären kann niemand einfach so.“ epd

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