Corona-Erinnerungen auf der Bühne in Szene setzen

Pfarrer Axel Imhof hat ein Theaterstück vor dem Hintergrund der Corona-Grenzkontrollen an der deutsch-französischen Grenze geschrieben

Hat ein Theaterstück geschrieben: Pfarrer Axel Imhof aus Lauterbourg. Foto: Krauß

Deutsche und Franzosen setzen ein Zeichen: Solidaritätsaktion im Mai an der Grenze in Lauterbourg. Foto: Krauß

Immer mehr deutsche Polizisten kommen an die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich. Schließlich sind es 16 Beamte, die zusammen mit ihren Hunden die Straße ins Nachbarland kontrollieren. „Ils se préparent pour la troisième guerre mondiale“, „sie bereiten sich für den dritten Weltkrieg vor“, witzelt ein Franzose, der das Ganze beobachtet.

Der Satz entstammt einer von vielen Szenen, die der französische Pfarrer Axel Imhof über den Sommer hinweg zu seinem ersten Theaterstück zusammengeschrieben hat. Entstanden sind sie aus Schilderungen, die dem Pfarrer in Lauterbourg während der coronabedingten Grenzschließungen zugetragen wurden, die er aber auch zum Teil selbst erlebt hat. „Die Grenzkontrollen haben den Alltag vieler Menschen berührt“, sagt Imhof. „In dieser Zeit sind viele Verletzungen in der deutsch-französischen Beziehung entstanden.“

Menschen aus dem Elsass standen auf ihrem Weg zur Arbeit nach Deutschland lange im Stau, mussten teils ­Umwege fahren, andere wurden in Deutschland als potenzielle Virenträger angefeindet, während Deutsche wiederum auf französischer Seite ohne Probleme einkaufen konnten, was wiederum dort zu Frust führte. „Dazu kam eine Diskrepanz in den Informationen über die Corona-Zahlen in Frankreich, je nachdem, auf welcher Seite der Grenze man war“, sagt Imhof.

Für die vielen deutsch-französischen Familien in der Region, speziell in seinem Wohnort, hätten sich in der Zeit der Grenzschließungen und -kontrollen Fragen zur eigenen Identität gestellt, sagt der Pfarrer, der selbst mit einer Deutschen verheiratet ist. „Wie lebe ich zwischen zwei Welten, wenn diese auseinanderdriften?“ Oder: „Bin ich noch Deutscher, wenn ich seit 20 Jahren in Frankreich lebe?“

Als Pfarrer hat Imhof seit 2018 eine Pfarrstelle in der „Union des Églises protestantes d’Alsace et de Lorraine“ inne, die zu einem guten Drittel grenzüberschreitende Beziehungen beinhaltet. Immer wieder kooperiert er mit ­seinem deutschen Kollegen Heiko Schwarz, macht auf deutscher Seite sogar Kasualvertretungen. Während der Grenzschließung hat er mit Schwarz auf der Lauterbrücke zwischen Scheibenhardt und dem französischen Scheibenhard mit einem Foto posiert: Ausdruck für die deutsch-französische Freundschaft. An diese erinnerten während der Zeit der Grenzkontrollen auch eine Wäscheleine mit Texten zur deutsch-französischen Freundschaft an der Grenze in Lauterbourg. Sie soll ebenfalls eine Rolle im Stück spielen.

„Ich habe mir die Frage gestellt, wie die kollektive Verarbeitung dieser Geschichte möglich ist“, sagt Imhof. Als Seelsorger leiste er ja in der Regel Hilfe in 1:1-Gesprächen. Daraus entsprang die Theateridee. Imhof kontaktierte einen befreundeten Schauspieler und Regisseur aus der Theaterbranche.

Ziel ist es, rund 20 Ehrenamtliche zu finden, die Theater spielen wollen und selbst aus dem betroffenen Grenzgebiet zwischen Elsass und der Südpfalz stammen. Im Januar seien erste Treffen geplant, danach Theaterübungen, sagt Imhof, der als Vikar Theaterworkshops besucht hat. Die Szenen sollen abwechselnd in Deutsch und Französisch spielen. Vor der geplanten Premiere im Herbst 2021 will Imhof aber noch einige Szenen als Video festhalten, um sie zum Jahrestag der deutsch-französischen Grenzöffnung nach dem Lockdown am 15. Juni zu zeigen.

„Ich habe mich bewusst für ein Theaterprojekt und gegen einen Film entschieden“, sagt Imhof. „Natürlich wäre das gegenwärtig einfacher“, sagt er auch mit Blick auf die wieder steigenden Corona-Zahlen derzeit. Aber das Live-Moment auf der Bühne und im Publikum sei nicht zu unterschätzen, sagt er. „Man erlebt das Ganze zusammen, da ist ein Gefühl der Verbundenheit.“ Alternativen zu dieser Form der Vergangenheitsbewältigung sieht Imhof nicht. „Sollte es wirklich zu Grenzschließungen kommen, verschieben wir das Ganze.“ Florian Riesterer

Meistgelesene Artikel