Am Rande der Existenzsicherung

Corona-Notfallfonds der Landeskirche und Diakonie nachgefragt – Überlastete Behörden mit ein Grund

Das Fenster als coronakonforme Bargeldschleuse: Heidi Berlitz demonstriert in Otterbach in einer gestellten Szene wie die Bargeldübergabe abläuft. Foto: view

Jeder Fall ist anders: Nina Blankenburg und ihre Kollegen in Otterbach erleben das ganze Ausmaß der Krise. Foto: view

Frau G., alleinerziehend mit einem Kind, benötigt Hilfe für den Kauf von Nahrungs- und Hygieneartikeln. Sie bezieht Leistungen vom Jobcenter. Wir beantragen für sie eine Hilfe in Höhe von 50 Euro. Herr W., 61 Jahre, alleinstehend, arbeitete als Küchenhelfer, die Gaststätte ist wegen Corona geschlossen. Er benötigt Hilfe zum Kauf von Lebensmitteln.“

Etliche solcher Mails trudeln zurzeit bei der Geschäftsstelle der Diakonie Pfalz in Speyer ein. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sozial- und Lebensberatungsstellen quer durch die Pfalz schildern darin die Nöte ihrer Klienten, stellen in ihrem Namen Anträge auf Geld aus dem Corona-Nothilfefonds. Den hatten die Diakonie und die Evangelische Kirche der Pfalz im März auf den Weg gebracht und mit jeweils 20000 Euro gefüllt, dazu kamen Spenden von bisher knapp 6000 Euro. 8624 Euro sind bereits ausbezahlt worden. Wo das Geld mangels Konto oder wegen Pfändungsschutz nicht überwiesen werden kann, haben die Sozialberatungsstellen Bargeldschleusen eingerichtet.

„Wir haben eine extreme Zunahme von Menschen, die Kurzarbeitergeld beziehen und merken, das reicht nicht zur Existenzsicherung, die keine Ahnung haben, wie das System funktioniert, noch nie Sozialleistungen beantragt haben“, sagt Nina Blankenburg vom Haus der Diakonie an Alsenz und Lauter in Otterbach. Dazu kämen die Menschen, die ohnehin Sozialleistungen beziehen, aber nun unter Tafelschließungen leiden oder teils wochenlang schon auf die Bearbeitung ihrer Anträge warten, hat Diakonie-Sprecherin Eva Stern beobachtet. Wartezeit, in denen ihnen das Geld fehlt.

Der Gesetzgeber hat zwar einen vereinfachten Weg zur Grundsicherung ermöglicht, der bei Neuanträgen bis Ende Juni keine Vermögensprüfung vorsieht. Bereits bewilligte Leistungen werden ohne erneute Prüfung für zwölf Monate genehmigt. Doch bedeutet das nicht, dass niemand mehr Unterlagen einreichen muss, verdeutlicht Blankenburg an einem ihrer Fälle. „Der Mann ist bei der Kommune angestellt, die Familie mit sieben Kindern bezieht ergänzend Sozialleistungen. Um weiter das Kindergeld in Höhe von mehr als 1000 Euro zu bekommen, muss er einen Nachweis über seinen Status und seine Arbeitserlaubnis vorlegen.“

Nachweise an Behörden sind nach wie vor nötig

Die Unterlagen einzureichen, ist auch bei geschlossenen Behörden per Post, E-Mail oder Portalen im Netz möglich. Allerdings scheinen die eingereichten Unterlagen mitunter langsamer in die Akte eingepflegt zu werden, als die Sachbearbeiter innerhalb der 14-Tage-Frist zu entscheiden haben. Nur so kann es sich die Sozialarbeiterin erklären, dass sie im Fall des Familienvaters statt einer Auszahlung erneut aufgefordert wurde, Unterlagen einzureichen.

„In solchen Fällen bringt es auch nichts, das Jobcenter zu beauftragen, in Vorleistung zu treten“, sagt Blankenburg. Als Grund nennt sie die ebenfalls lange Bearbeitungszeit. Telefonische Nachfragen hätten wenig Erfolg, weil der jeweilige Sachbearbeiter durch das Hotline-System nicht kontaktiert werden könne, etwas, das Christiane Lauer, Arbeitsagentur-Sprecherin der Regionaldirektion Rheinland-Pfalz-Saarland, bestätigt. Auch wenn Lauer keine wie von Blankenburg geschilderten Fälle bekannt sind, will sie nicht ausschließen, dass eine Bearbeitung länger als zwei Wochen dauern kann. „Schließlich können Menschen Fehler machen.“ Und der Druck sei im Moment enorm. Sie ermuntert die Sozialarbeiter dazu, solche Fälle genau in E-Mails zu schildern.

Bis zur Lösung hilft der Notfallfonds – schnell und unbürokratisch. Außerdem wüssten Mitarbeiter vor Ort genau um die jeweilige Situation, das Geld lande, wo es gebraucht werde, betont Stern. „Und wo dauerhafte Einbußen bei den Finanzen sind, können wir so Zeit gewinnen, um zu schauen, welche Rechtsansprüche bestehen“, sagt Blankenburg. Im Fall des Familienvaters drückt sie jetzt die Daumen für den nächstmöglichen Auszahlungstermin des Kindergelds Mitte Mai. Florian Riesterer

Spendenkonto IBAN: DE50 5206 04100000002500, Verwendungszweck „Corona-Nothilfe“

 

Warnung vor einer dauerhaften Zwei-Klassen-Gesellschaft

Diakoniepfarrer Albrecht Bähr sorgt sich um Beratungs- und Betreuungsangebote – Schutzschirm des Staats für soziale Arbeit notwendig

Diakoniepfarrer Albrecht Bähr hat mehr Hilfen für arme Menschen in der Corona-Krise gefordert. Viele finanzschwache Menschen könnten die aktuelle Situation nicht finanziell überbrücken, sagte Bähr dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auch könnten sie kaum ihre während der Pandemie angehäuften Schulden begleichen. Die Krise dürfe nicht dazu führen, dass eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zementiert werde, sagte der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Diakonischen Werke in Rheinland-Pfalz.

Die Pfälzer Kirche und ihre Diakonie hätten zwar einen Notfonds von rund 40000 Euro für Bedürftige aufgelegt, müssten aber schon „jetzt überlegen, was nach der Krise passiert“, sagte Bähr. Aufgrund der Corona-Krise gehe er von Kirchensteuereinbrüchen in den kommenden Jahren von zehn bis 20 Prozent aus. Deren Auswirkungen schlügen etwa fünf Jahre zeitversetzt auf die Betreuungs- und Beratungsangebote der Diakonie durch.

In Kirche und Diakonie werde man „den Gürtel enger schnallen müssen“, sagte der Theologe. Schon jetzt müsse eine Debatte darüber geführt werden, in welchen kirchlichen Arbeitsbereichen am ehesten eingespart werden könne. Die Krux in der Kirche sei aber, dass solche unangenehmen Entscheidungen „auf die lange Bank geschoben“ würden, kritisierte der Diakoniepfarrer.

Die diakonische Arbeit der Kirche stehe finanziell stark unter Druck, mittelfristig sei die Existenz mancher diakonischen Träger bedroht. Der Staat müsse deshalb einen Schutzschirm für die soziale Arbeit spannen, appellierte Bähr. Eine Verstaatlichung des Gesundheitssystems und eine Kapitalisierung der Pflege, die den Profit über die Würde des Menschen stellten, müssten verhindert werden.

Die Corona-Krise zeige, dass dringend mehr Geld in die Pflege investiert werden müsse, appellierte Bähr. Mehr Pflegekräfte seien vor allem in Einrichtungen der Altenpflege nötig. Deren bessere Bezahlung werde für die Bürgerinnen und Bürger aber steigende Krankenkassenbeiträge zur Folge haben.

Als ein gutes Signal bezeichnete Bähr die geplanten Bonuszahlungen für die Altenpflege in der Corona-Krise. „Aber wir brauchen dauerhaft eine bessere Bezahlung der Pflegedienste“, sagte er. Zudem gebe es andere Personengruppen, die ähnlichen Belastungen ausgesetzt seien, etwa Reinigungskräfte oder Beschäftigte in der Behindertenhilfe. Diese würden bei den Plänen für eine Prämie nicht berücksichtigt.

Wichtig sei auch, dass Deutschland seine eigenen Kapazitäten bei Impfstoffen und anderen Bedarfsmitteln für den Gesundheitsbereich ausbaue und sich nicht zu sehr abhängig von globalen Marktkräften mache, merkte Bähr an. Ein gesamteuropäischer Pandemie-Plan hätte demnach die starken Versorgungsengpässe bei der Schutzkleidung in der Krise verhindern können. all

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