Wenn ich das begreifen könnte

Über dem geöffneten Sarkophag schwebt der aus dem Grab erstandene Christus zum Himmel: Teilbild im rechten Außenflügel des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald. Foto: epd

Was ist Ostern? Auferstehung, antwortet uns die Bibel, Auferstehung Jesu von den Toten, und das heißt, der lebendige Gott, die vergebenen Sünden, das leere Grab, der überwundene Tod, mit einem Wort: Jesus ist Sieger. Aber sind das wirklich Antworten? Antworten, die wir begreifen, mit denen wir etwas anfangen können? Sind es wirklich helle, klare, verständliche Worte, von denen ein Licht ausgeht? … Das Leben ist schwer und dunkel, wir haben wenig genug Licht und kommen in die Kirche, um uns etwas mehr Licht zu holen, und nicht dazu, um uns auch noch das wenige, das wir haben, verdunkeln und rauben zu lassen.

Wir stecken vielleicht tief in Zweifeln. Wir verstehen das Leben nicht und verstehen uns selber nicht. Wir fürchten uns vor dem Leben. Es sind so viele dunkle Schatten um uns her, wir finden den Weg nicht. Gibt es überhaupt einen Weg? Hat das Leben einen Sinn? Und nun kommt Ostern und sagt uns: der lebendige Gott! Gott ist. Gott lebt. Gott siegt. – Ja, das ist eben die Frage, antwortest du. Daran laboriere ich herum. Das ist es gerade, was ich nicht verstehe, und keine Behauptung der Bibel oder eines Pfarrers hilft mir darüber hinweg. Das Dunkel wird erst recht groß, wenn du das aussprichst. Die Frage brennt erst recht auf wie eine frisch geschlagene Wunde. Der lebendige Gott? – Ja, wenn ich das fassen, das begreifen könnte! Wenn das zu mir reden würde!

Karl Barth im Jahr 1926

 

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