Untauglich: Große Teile des Bürgertums

von Nils Sandrisser

Nils Sandrisser

Die Grenzen zwischen Rechtsradikalismus und Konservatismus verschwimmen immer mehr. Für diese Wahrnehmung lassen sich gute Gründe finden. Im Februar hat die CDU Thüringens Entsetzen ausgelöst, als sie einen FDP-Mann zum Ministerpräsidenten machen wollte und dafür mit der AfD paktierte. Vor knapp zwei Jahren musste der Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen gehen, nachdem er geraunt hatte, die Medien würden lügen, er in der SPD „linksradikale Kräfte“ ausgemacht hatte und sich mehrfach zu vertraulichen Gesprächen mit der AfD getroffen hatte.

Nicht nur in der Politik, auch in der Gesellschaft lässt sich deutlich ausmachen: Das konservative Milieu hält nicht dicht gegen ganz Rechtsaußen. Alle zwei Jahre zeigt die Mitte-Studie der Universität Leipzig, dass sich Antisemitismus, Rassismus und andere Formen von Menschenfeindlichkeit immer mehr in die Mitte fressen. Erst im Juli berichtete die Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen, dass fast jeder fünfte Deutsche überzeugt ist, die Medien würden die Bevölkerung systematisch belügen. Irritierend ist die reflexhafte Gegenargumentation vieler Konservativer: Es gebe ja auch den Linksextremismus, Extremismen seien alle gleich schlimm, und der progressiv-liberale Teil der Gesellschaft schaue bei linker Gewalt weg.

Nun macht es das eigene Verhalten nicht besser, wenn man auf Kritik „Aber die anderen tun’s doch auch!“ ruft. Zudem ist dieses Bild der beiden Extreme, die gleich weit von der Mitte entfernt und gleich schlimm seien, problematisch. Denn es suggeriert, dass es eine gute Mitte und böse Ränder gebe. Eine recht schlichte Sichtweise. Denn die Studienlage zeigt ja, dass menschenfeindliche Ansichten eben nicht nur an den Rändern zu finden sind.

So viel immerhin stimmt: Auch der Linksextremismus kann gefährlich sein. In den 1970er Jahren war der Terror von links ein dickes Problem der Bundesrepublik und vieler westlicher Staaten. Allerdings haben wir nicht mehr 1977. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, das kann man wohl sagen, haben die allermeisten Linken ihren Frieden mit der Demokratie und sogar dem Kapitalismus gemacht. Revolutionäre Ideen und Gewaltfantasien gibt es ganz links noch nach wie vor, aber sie strahlen nicht mehr auf die Gesellschaft aus. Rechts ist das gerade sehr anders. Möglich, dass es in einigen Jahrzehnten wieder umgekehrt ist, aber aktuell ist die autoritäre Rechte unsere tödlichste Bedrohung.

Die Ereignisse und die wissenschaftlichen Befunde legen nahe: Auf große Teile des Bürgertums ist bei der Verteidigung der Demokratie kein Verlass. So wie in der Weimarer Republik auf sie kein Verlass war. Obgleich mehrere Faktoren zum Untergang der ersten deutschen Demokratie führten – den Todesstoß versetzten ihr die Deutschnationalen, als sie die Macht den Nationalsozialisten zu Füßen legten.

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