Ungarn vergisst seine Freiheitsliebe

von Martin Schuck

Martin Schuck

Früher galten die Ungarn als freiheitsliebendes Volk. Das machte sich vor allem in der Zeit des Kommunismus bemerkbar. Das „Paneuropäische Picknick“ vor 30 Jahren leitete das Ende der kommunistischen Herrschaft ein. Unter der Schirmherrschaft des Reformkommunisten Imre Poszgay und Otto von Habsburg, dem CSU-Politiker und Sohns des letzten österreichischen Kaisers, kamen Tausende Ungarn und Österreicher an der Grenze in der Nähe der Stadt Sopron zusammen. Die Grenzpolizisten öffneten den Zaun für drei Stunden und ermöglichten damit mehr als 600 DDR-Bürgern, die sich in Ungarn aufhielten, die Flucht in den Westen.

Das alles scheint heute vergessen. Die ungarische Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orban steht innerhalb der Europäischen Union nicht nur für eine rigide Flüchtlingspolitik mit streng bewachtem Zaun an der Grenze zu Serbien, sondern auch für eine „illiberale Demokratie“, die schrittweise demokratische Rechte abbaut. Gemeinsam mit anderen Staaten des ehemaligen Ostblocks verhindert Orban, dass so etwas wie europäische Solidarität in der Flüchtlingspolitik überhaupt erst entstehen kann. Das alles passt nicht zu der Idee eines freien Europa.

Aber der Blick in die eigene Geschichte müsste den autoritären Politikern in der ungarischen Regierung zu denken geben. Ihr Land steht nicht nur wegen der Ereignisse im Sommer 1989 für den Anfang vom Ende des Kommunismus. In Ungarn gab es bereits im Herbst 1956 den ersten Volksaufstand gegen die kommunistische Herrschaft, der nur durch das Eingreifen der Sowjetunion beendet werden konnte. Mehr als 200000 Ungarn flohen damals ins westliche Ausland. Das alles scheint vergessen, wenn Flüchtlinge ins eigene Land kommen wollen.

 

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