Stachel im Fleisch der Marktwirtschaft

von Klaus Koch

Klaus Koch

Regelmäßig kritisieren Vertreter der evangelischen Kirche die Macht der Wirtschaft über den Menschen. Immer stärker werde der Mensch nach dem beurteilt, was er ökonomisch leistet. Das widerspreche fundamental dem christlichen Menschenbild. Und in der Tat gehört es zu einer der faszinierendsten protestantischen Glaubensgrundlagen, dass Gott den Menschen nach seinem Bild geschaffen hat. Das heißt, dass sich Wert und Würde des Menschen einzig aus dieser Gottesebenbildlichkeit ergeben und nicht aus dem, was er tut oder leistet. Wert und Würde des Vorstandsvorsitzenden der BASF und des Obdachlosen in der Neustadter Notunterkunft „Lichtblick“ sind identisch.

Doch in der Realität wird diese zutiefst humane Grundeinstellung zum Problem, wenn Kirche und Diakonie als Arbeitgeber auftreten. Dann kommen sie an der Ökonomie nicht vorbei. Sie müssen, wenn es sich finanziell nicht rentiert, Kliniken schließen, das Beraten von Suchtkranken einstellen oder Arbeitsbereiche aufgeben. Das alles ist natürlich willkommene Munition für Kirchenkritiker.

Auch die Kirche muss die Menschen, die bei ihr arbeiten, nach ökonomischen Kriterien bewerten. Denn der freie Markt belohnt es nicht, wenn sich ein Arbeitgeber an Tarife und Sozialstandards hält, auf prekäre Arbeit weitgehend verzichtet und versucht, den höchsten Ansprüchen an Klima- und Umweltschutz gerecht zu werden. Doch all dies muss Kirche tun, wenn sie nicht ihr eigenes Reden und Predigen blamieren will. Ein Dilemma, wie auch die Tagungshäuser der Landeskirche zeigen. Hier wird nach Tarif bezahlt, die Umweltstandards sind zertifiziert, und das Essen soll möglichst so beschafft werden, dass Ressourcen geschont werden. Im Ergebnis heißt das: Die Zuschüsse aus Kirchensteuermitteln für die Häuser liegen weit höher als gewollt. Und das Paradox wird vollkommen, wenn Menschen, die nicht nach Tarif bezahlt werden, es mit ihren Kirchensteuern möglich machen, dass die Kirche Tariflöhne zahlt.

Der einzige Ausweg für die Kirche ist, offensiv mit diesem Problem umzugehen. Es nützt nichts, wenn externe Berater beauftragt werden, um das schlechte finanzielle Gewissen zu beruhigen. Auch hilft es nicht weiter, im Ökonomen-Chargon der Öffentlichkeit wirtschaftliche Zwänge klarzu­machen. Nein, Kirche sollte vielmehr noch deutlicher ihre Vorbildfunktion herausarbeiten. So kann sie zeigen, dass es sich lohnt, Mitglied zu sein und Kirchensteuern zu zahlen, weil es wichtig ist, auf einem zu großen Teilen unwürdigen und unsozialen Arbeitsmarkt eine Messlatte zu haben. Wer Kirchensteuer zahlt, soll das Gefühl haben, dass er eine Institution mitfinanziert, die einen Kontrapunkt setzt zu Lohn-Dumping und immer größerer Verdichtung der Arbeit. Er sollte das Gefühl haben, einen moralischen Stachel im Fleisch der Marktwirtschaft mitzufinanzieren.

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