Staat und Kirche im 21. Jahrhundert

von Klaus Koch

Klaus Koch

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wird 70 Jahre alt. Was da am 24. Mai 1949 in Kraft trat, hat sich als ein Segen erwiesen. Es gab dem jungen, verstörten und mit Schuld beladenen Land Orientierung. Bei allen politischen Differenzen waren sich nahezu alle Deutschen in der Treue zur Verfassung einig. Und wer nach den Verbrechen Hitler-Deutschlands Probleme mit Begriffen wie Nationalstolz oder ­Vaterland hatte, für den stiftete die Verfassung Identität und Gemeinschaftsgefühl. Der Begriff Verfassungspatriotismus bringt diesen Zustand auf den Punkt.

Bei den Regelungen zum Verhältnis Kirche und Staat ist die Verfassung ein Kompromiss zwischen den Kräften, die Kirche und Staat strikt trennen wollten, und denen, die gerne mehr christliche Orientierung festgeschrieben hätten. So entstand der weltanschaulich neutrale Staat, der mit den Kirchen partnerschaftlich zusammenarbeitet. Dieser Kompromiss geht zurück auf die Weimarer Verfassung von 1919. In Artikel 140 Grundgesetz sind deshalb die Kirchenartikel von vor 100 Jahren wörtlich wiedergegeben.

Doch ob die Verfassungsregeln für die Kirchen unverändert weitere 100 Jahre Bestand haben, ist unwahrscheinlich. Zunehmende Säkularisierung und wachsender Einfluss des europäischen Rechts setzen die Privilegien der Kirchen unter Druck. Das gilt vor allem für Sonderregeln im Arbeitsrecht, für den Sonn- und Feiertagsschutz oder für die Staatsleistungen. Bisher beschränken sich die Kirchen aufs Reagieren, wenn diese Regelungen angegriffen werden. Aber es wäre besser, wenn sie die Defensive verlassen würden und einen Diskurs darüber begännen, wie ein zeitgemäßes Verhältnis von Kirche und Staat im 21. Jahrhundert aussehen kann.

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