Sich der eigenen Geschichte stellen

von Wolfgang Weissgerber

Wolfgang Weissgerber

Negerküsse gehen gar nicht. Der süße Kindertraum heißt mittlerweile Schokokuss, weil das Wort Neger als rassistisch gilt und verpönt ist – eine Übereinkunft, der die meisten Menschen folgen. Auf diesen Teil ihres kulturellen Erbes können die Deutschen leichten Herzens verzichten. Bei anderen fällt es schwerer. In Frankfurt nehmen sich Verfechter der politischen Korrektheit seit Monaten die Mohren-Apotheke vor. Der Name beschwöre die düstere koloniale Vergangenheit herauf. Aber ist Mohr rassistisch? Wenn Nicht-Weiße das Wort als abwertend empfinden, ist das ernst zu nehmen.

Doch steckt dahinter wirklich eine Verletzung? Aus dem allgemeinen Sprachgebrauch ist der Mohr verschwunden. Wer Menschen mit dunkler Haut herabwürdigen will, hat anderes Vokabular. Zudem fußt das Wort auf dem Begriff Mauren. Damit sind nordafrikanische Berber gemeint, die an der Eroberung der Iberischen Halbinsel im 8. Jahrhundert durch Muslime beteiligt waren. Maurische Kultur, maurische Architektur gehören bis heute zum Erbe Spaniens – ohne jede gedankliche Herabsetzung. Der Staat Mauretanien birgt ebenfalls keine rassistischen Implikationen.

Heikler ist der Begriff der Judensau. Seine Verwendung ist in Deutschland als Volksverhetzung unter Strafe gestellt. Was tun mit den Schmähskulpturen, in denen sich an vielen Gebäuden, insbesondere Kirchen, seit dem Mittelalter der christliche Antijudaismus manifestierte? Soll man die historischen Objekte zertrümmern und so tun, als hätte sie es nie gegeben? In Wittenberg beschäftigen sich gerade Gerichte mit dem Thema. Der Holocaust als Bestandteil des historischen Erbes der Deutschen lässt sich ebenso wenig verschweigen wie seine Wurzeln in der mittelalterlichen Judenfeindlichkeit. Schweinefiguren als Wasserspeier und ähnliche in Stein gehauene Verhöhnungen gehören dazu – sie sollten bleiben, aber mit historischen Erläuterungen auf Infotafeln.

Das gilt auch für Kirchenglocken aus der Nazizeit mit den Führer und sein Tausendjähriges Reich verherrlichenden Inschriften. Etwa zwei Dutzend hängen noch in den Glockenstühlen deutscher Kirchen, überwiegend auf evangelischer Seite. Ja, die Kirche hat in dieser Zeit Schuld auf sich geladen. Doch diese lässt sich nicht dadurch tilgen, dass ihre bronzenen Relikte dem Schmelztiegel überantwortet werden. Sie sind zwar nicht zu sehen, doch ihre Existenz verdient einen deutlich sichtbaren Hinweis.

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Alliierten dafür gesorgt, dass Hakenkreuze, Straßennamen und Denkmäler von Nazigrößen aus dem Städtebild verschwanden. Das war nötig, schon um jene zu ehren, denen ebenfalls Straßen und Plätze gewidmet sind und die keine Verbrecher waren. Doch ein einfaches „Weg damit“ ist nicht immer die richtige Lösung im Umgang mit der eigenen Geschichte. Manchmal ist es besser, sich ihr zu stellen. Einfach ist das nicht.

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