Sens Flöte und die Gerechtigkeit

von Klaus Koch

Klaus Koch

Eine Flöte – drei Kinder. Wer soll das Instrument bekommen, was wäre gerecht? Ein Kind will die Flöte, weil es sie mühevoll selbst gebaut hat, ein anderes will sie, weil es als Einziges der drei Kinder überhaupt Flöte spielen kann. Und ein drittes Kind begehrt sie, weil es so arm ist, dass es sonst nichts zum Spielen hätte. Der indische Ökonom und Philosoph Amartya Sen zeigt an dieser Geschichte, dass es ein Ideal der Gerechtigkeit in einer Gesellschaft nicht gibt. Jedes der drei Kinder hat gute Gründe, warum es die Flöte haben sollte.

Sens Buch „Die Idee der Gerechtigkeit“ ist über zehn Jahre alt, passt aber in eine Zeit, in der der Staat viel Geld ausgibt und sich die Frage stellen lassen muss, ob er dies gerecht tut. Die Überlegungen Sens, der 1998 den Wirtschaftsnobelpreis erhielt und in diesem Jahr den Friedenspreis des deutschen Buchhandels bekommt, können die Debatten über einen vernünftigen Neustart der Wirtschaft nach der Corona-Krise bereichern.

Den Wirtschaftsnobelpreis erhielt Sen für seine Überlegungen, die Entwicklung eines Staats nicht alleine daran zu messen, wie sich sein Bruttosozialprodukt, also seine Wirtschaftsleistung, entwickelt. Ein maßgeblicher Indikator für eine gute Entwicklung ist für ihn auch, welche Chancen die einzelnen Menschen in einem Wirtschaftssystem haben, um sich zu entfalten. Und ­genau daraufhin sollten alle Staatsleistungen abgeklopft werden. Stabilisieren sie ­bestehende Ungerechtigkeiten oder ermög­lichen sie dem Einzelnen mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und Wohlstand. Der Staat kann nicht jedem gerecht werden, aber er sollte immer wieder Strukturen schaffen, in denen alle Menschen eine ­gerechte Chance haben.

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