Schöne neue Welt der fitten Senioren

von Wolfgang Weissgerber

Wolfgang Weissgerber

„Alt werden ist gar nicht so schlimm – bedenkt man die Alternative“, hat ein Freund einmal angesichts seines hohen Geburtstags bemerkt. Da hat er recht – wer will schon jung sterben? Jeder möchte alt werden, dabei aber jung bleiben. Die Menschen in modernen Industrieländern leben länger als die Generation ihrer Eltern und Großeltern. Noch nie gab es in Deutschland so viele 100-Jährige wie heute, und ihre Zahl wird weiter steigen. Viele Menschen sind bis ins hohe Alter fit und gesund – aber längst nicht alle.

Zu Ende gedacht, wird die Sehnsucht nach einem langen Leben daher leicht zum Horrorszenario. Moderne Medizin kann Körper noch Jahre am Leben halten, wenn der Geist bereits schwindet. Auf diese Weise möchte niemand alt werden. Die wachsende Zahl der Pflegebedürftigen überfordert Staat und Gesellschaft aber schon jetzt. Der uralte Traum der Menschheit vom Altwerden, von Unsterblichkeit gar, wird zum Albtraum, wenn er nicht zugleich mit ewiger Jugend verknüpft ist. Auf solch eine Pille wird die Menschheit aber ewig warten müssen.

Die alternde Gesellschaft sorgt auch so schon für einen gehörigen Anpassungsdruck. Die Rente mit 67 ist ein erstes Ergebnis. Wenn die Menschen länger leben, werden sie auch einen größeren Teil ihres Lebens damit verbringen müssen, sich durch ihre eigene Arbeit zu ernähren. Dennoch wird die Zeitspanne zwischen dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und dem Tod größer. Rente bedeutet zudem nicht mehr automatisch, alt zu sein und im Lehnstuhl auf das Ende zu warten. Das Bild der Alten verändert sich. Diese Zeit will gefüllt werden. Aber wie? Mit Bastelnachmittagen lässt sich die Protestgeneration von 1968, die nun das Rentenalter erreicht hat, bestimmt nicht abspeisen.

Etwa jeder zehnte Käufer eines neuen Motorrads ist über 60 Jahre alt, gut ein Drittel zwischen 50 und 59. Da retten Leute, die schon in der Jugend den Drang zu Freiheit und Abenteuer verspürten, diesen Traum ins Rentenalter. Und diese jungen Alten reisen, reisen, reisen. Kreuzfahrten und Fernreisen – zu Preisen, die sich betuchte Alte eher leisten können als junge Familien – sind ein wachsender Wirtschaftsfaktor, allen Diskussionen über Umweltverschmutzung und Klimawandel zum Trotz. Alte stürmen die Hörsäle, suchen Zerstreuung in Vereinen, treiben Sport, machen Musik, gehen schwimmen, wandern und, und, und.

Doch es gibt eine Kehrseite. Zwar ist die gegenwärtige Generation von Rentnern und Pensionären in Deutschland im Durchschnitt ­finanziell bessergestellt als jede vor ihr. Doch auch diese Generation hat Verlierer, deren Altersversorgung ­gerade fürs Nötigste reicht, mitunter noch nicht einmal das. Steigende ­Mieten gefährden mittelfristig auch gut situierte Ruheständler. Die schöne neue Welt der fitten, fröhlichen ­Senioren hat gerade erst begonnen und zeigt schon erste Risse.

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