Klare Kante im Dialog mit dem Islam

von Wolfgang Weissgerber

Wolfgang Weissgerber

Reden die Kirchen mit den falschen Leuten? Die Frankfurter Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter wirft ­ihnen vor, im auch aus ihrer Sicht notwendigen Dialog mit dem Islam auf Organisationen zu setzen, die nur einen Bruchteil der Muslime in Deutschland vertreten. Mehr noch: die allein deren konservativen bis ­radikalen Teil vertreten.

Muslime haben – nicht nur in Deutschland – keine den verfassten christlichen Kirchen vergleichbare Organisationsstruktur. Entsprechend schwer tat und tut sich der Staat mit der von der Verfassung gebotenen Aufgabe, islamischen Religionsunterricht zu organisieren. Denn dazu fehlen ihm geeignete Kooperationspartner. Ohne sie ist allenfalls ein religions- oder konfessionskundlicher Unterricht möglich, aber keine religiöse Bildung.

Nur die kleine Ahmadiyya-Muslim-Gemeinschaft mit wenigen zehntausend Mitgliedern ist als Körperschaft anerkannt und damit den Kirchen gleichgestellt. Die Hälfte der etwa viereinhalb Millionen Muslime in Deutschland sind jedoch Sunniten, weitere große Konfessionen sind Aleviten und Schiiten. Sie sind lediglich in Vereinen oder zu einem großen Teil überhaupt nicht organisiert. Mit wem also sollen die Kirchen reden, um mit Muslimen in Dialog zu treten?

Viel wichtiger wäre es hingegen, wie die Islamforscherin Schröter ebenfalls anmerkt, im Dialog mit dem Islam wenigstens klare Kante zu zeigen. So zu tun, als sei der selbst ernannte „Zent­ralrat der Muslime in Deutschland“ deren alleiniger Vertreter, stößt all jene Muslime vor den Kopf, die sich von ihm nicht vertreten sehen. Gerade die vielen säkularen und liberalen Muslime in Deutschland, die sich weder dem Verband der Islamischen Kulturzentren, dem Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland oder der staatlich gelenkten türkischen Ditib zugehörig fühlen, brauchen ein Signal.

Sie sollten erfahren, dass die Mehrheitsgesellschaft den rückwärtsgewandten Sichtweisen mancher muslimischer Organisationen und ihren Vorstellungen von der Rolle der Frau in der Gesellschaft und zur Sexualmoral ablehnend gegenübersteht. Wenn der Vorwurf Schröters stimmt, dass sich die Kirchen in den Gesprächsrunden mit Muslimverbänden um des lieben Friedens willen mit Kritik zurückhalten, wäre das fatal. Die derart Angegriffenen weisen das begreiflicherweise von sich.

Der frühere Bundespräsident Christian Wulff hatte vor knapp zehn Jahren für viel Wirbel gesorgt mit dem Satz „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“. Darüber wurde und wird gestritten, auch wenn sich das bei einem Bevölkerungsanteil von knapp sechs Prozent erübrigt. Doch diese Feststellung enthält eine Aufforderung, die sich nicht sogleich erschließt: Wenn der Islam zu Deutschland gehört, dann muss er sich auch zu dem Land und seinen Werten bekennen. Seine Vertreter gelegentlich daran zu erinnern, ist nicht verkehrt.

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