Kirche tut sich schwer mit Sex und Zärtlichkeit

von Martin Vorländer

Martin Vorländer

Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, wie ich euch liebe, sagt Jesus. Die Botschaft des Christentums ist Liebe. Natürlich geht es an erster Stelle um die Gottes- und Nächstenliebe. Liebevoll sollen sich die Gläubigen aber in allen Dingen verhalten, bis hin zu Tisch und Bett. Mit der real gelebten Liebe tun sich die Kirchen bis heute schwer. Sie haben lange mit Verboten und Verteufelungen gearbeitet. Oder sie breiteten die Decke des Schweigens darüber. Unter der Decke konnten dann einige Kirchenmenschen anderen antun, was mit Liebe nichts zu tun hat. Besonders die katholische Kirche, in einzelnen Fällen auch die evangelische, steht derzeit vor der Katastrophe, dass die eigenen Leute sexuelle Gewalt gegen Kinder begangen haben. Das vergiftet das Evangelium.

Die evangelische Kirche hat viel getan, um zu einer verantwortungsvollen und unverkrampften Einstellung zum Liebesleben zu finden. Sie streicht aber mitunter um das Thema herum wie die Katze um den heißen Brei. Die letzte Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu Sexualethik stammt aus dem Jahr 1971. Der Rat der EKD hatte eine Kommission beauftragt, eine neue Orientierungshilfe zu schreiben. Als der Entwurf vorlag, bekam der Rat Angst vor der eigenen Courage. Er legte den Text auf Eis. Fünf Autorinnen und Autoren des Papiers veröffentlichten daraufhin ihre Ergebnisse unter ihren eigenen Namen. „Unverschämt – schön“ heißt ihr Buch, das 2015 erschien.

Eher verschämt wirkt, wie der Deutsche Evangelische Kirchentag auf eine Anfrage reagiert. Vier junge Männer haben sich mit ihrem christlichen Sexshop um einen Stand auf dem Kirchentag in Dortmund beworben. Die vier sind christlich engagiert. Sie stört, wie verdruckst viele in der christlichen Szene mit Sexualität umgehen. Darum haben sie „Schöner lieben“ gegründet, nach eigenen Angaben „der erste Erotikshop mit christlichen Werten in Deutschland und Österreich“. Pornografische Bilder und Fäkalsprache sind tabu. Sie richten sich an Paare, die sich treu sind, aber Lust haben zu experimentieren.

Darüber kann man reden. Der Kirchentag versteht sich auch sonst als Forum für alle Themen, die Christen und Gesellschaft bewegen. Trotzdem gab er dem Team von „Schöner lieben“ erst einmal einen Korb. Mittlerweile hat man sich besonnen. Man habe einen Platz gefunden, sagt der Pressesprecher des Kirchentags. In diesen Tagen erhielten die Gründer die Zusage. Der Sprecher versichert, das Thema Sexualität und Glaube spiele eine Riesenrolle auf dem Kirchentag. Gut so. Es braucht Gelegenheiten, um sich aus christlichem Glauben heraus über die Liebe nicht nur im platonischen Sinn auszutauschen. Der evangelischen und der katholischen Kirche tut es gut, nicht verschwurbelt, sondern respektvoll und schön über Liebe, Sex und Zärtlichkeit zu sprechen.

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