Kein Schutz gegen den freien Willen der Mutter

von Reiner Anselm

Reiner Anselm

Selbst darüber bestimmen zu können, unter welchen Umständen Frauen schwanger werden und Kinder bekommen, gehört zu den großen Errungenschaften der Emanzipation. Keine Frage, wer über den Zeitpunkt und den Partner für eine Schwangerschaft entscheiden kann, der muss es auch tun. Freiheit bringt Verantwortung mit sich. Sie ist mitunter belastend. Und doch kann es für eine Ethik, die sich der Freiheit verpflichtet weiß, keine Alternative zur Selbstbestimmung bei der Fortpflanzung geben.

Auch die Praxis der Pränataldiagnostik weiß sich der Freiheit und der Selbstbestimmung verpflichtet. Sie zielt darauf, Sicherheit über den Verlauf der Schwangerschaft zu gewähren und eine optimale medizinische Versorgung bereitzustellen. Sie umfasst aber auch Auskünfte über den Gesundheitszustand des Ungeborenen. In aller Regel bewirken diese Auskünfte, dass Sorgen als unbegründet zerstreut werden.

Doch es gibt auch die Fälle, in denen ein Ergebnis die Schwangere vor eine sehr schwierige Frage stellt: Kann ich mir ein Leben mit diesem Kind vorstellen oder überfordert mich die Aussicht, dass es mit bleibenden Einschränkungen geboren werden wird? Es wäre unredlich, die Konsequenzen, die aus einer solchen Entscheidung resultieren können, zu verharmlosen: Häufig ist ein Abbruch der Schwangerschaft und damit der Tod des Ungeborenen die Folge. Nur wer sich in aller Deutlichkeit über diese Konsequenz aufklärt, kann eine freie und verantwortete Entscheidung über die Pränataldiagnostik treffen. Verantwortung ist dabei auch für den Tod des Ungeborenen zu übernehmen, der in einem unauflösbaren Konflikt eine vertretbare Entscheidung sein kann.

Schwangerschaft nicht als Schicksal, sondern als eine in Freiheit getroffene Entscheidung zu verstehen, bedeutet, auch die Schattenseiten von Freiheit nicht auszublenden. Diese zu benennen, darf aber nicht bedeuten, Schwangeren die Fähigkeit abzusprechen, mit diesen Freiheiten und der daraus resultierenden Verantwortung angemessen umgehen zu können. Das aber tut, wer für ein Verbot der Pränataldiagnostik eintritt. Pränataldiagnostik pauschal zurückzuweisen, stellt eine Bevormundung der Frauen unter dem Deckmantel der Ethik dar.

Lebensschutz ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Der Schutz des Ungeborenen kann nie gegen den Willen der Mutter erreicht werden. Und dieses besondere Verhältnis in Freiheit verantwortlich gestalten zu können, aber auch zu müssen, gehört zu den besonderen, einzigartigen Momenten des Lebens als Frau und werdende Mutter. Männer sollten das bewundern, den Frauen die Verantwortung zutrauen und sie in ihrer Lebensführung engagiert unterstützen.

Reiner Anselm (54) ist evange­lischer Theologe und Professor für ­Systematische Theologie und Ethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Meistgelesene Leitartikel & Kommentare