Erinnerungen an die Kritik Luthers

von Klaus Koch

Klaus Koch

Die Widerstände der katholischen Kirchenleitungen war groß, als Mitte der 1990er Jahre Laien Unterschriften sammelten, um Reformen in der Kirche durchzusetzen. In vielen deutschen Bistümern wurde das ­Sammeln sogar verboten. Heute, fast ein Vierteljahrhundert später, sind die Forderungen der Kirchenvolksbewegung im Zentrum kirchlicher Debatten angekommen: Diakonat der Frau, weniger Hierarchie, mehr Mitbestimmung der Laien, Veränderung der Sexualmoral und Abschaffung des Zölibats. Das erfüllt die Laien der Bewegung „Wir sind Kirche“ mit einigem Stolz. Doch sie trauen dem Braten nicht wirklich. Die Gefahr, dass der Vatikan alle Reformansätze zunichtemacht, ist groß.

Wenige Tage vor dem 502. Jahrestag der Reformation ist die Spannung in der katholischen Weltkirche daher groß. Es ist schier undenkbar, dass die Kurie in Rom den Deckel auf dem Kessel halten kann. Wenn es nicht zu Abspaltungen kommen soll, muss sich der Vatikan bewegen. Wenn in einem Papier von „Wir sind Kirche“ geschrieben steht, das System in Rom habe sich selbst zum Glaubenssatz erhoben und an die Stelle des Evangeliums gesetzt, dann klingt das doch stark nach Martin Luthers Kritik vor über 500 Jahren.

Für evangelische Christen ist diese Entwicklung kein Grund zur Genugtuung. Denn was sich in der katholischen Kirche bewegt – oder auch nicht bewegt – hat Auswirkungen auf den Protestantismus. In der säkularen Gesellschaft wird nicht mehr zwischen den Konfessionen unterschieden. Für Fehler oder Skandale in einer Kirche werden alle Christen in Haftung genommen. Es gibt noch viele Unterschiede zwischen katholischer und evangelischer Kirche. Aber eine Zukunft für die Kirchen, die gibt es nur gemeinsam.

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