Die Suche nach dem guten Grund

Hartmut Metzger

von Hartmut Metzger

Als „Kirchenvater des 20. Jahrhunderts“ wird er inzwischen hochoffiziell von evangelischer Seite geehrt. Am 10. Dezember 2018 vor 50 Jahren ist Karl Barth in Basel gestorben. Privat, theologisch und politisch war er ein unangepasster Genosse seiner Zeit.
Er lebte in einer Dreiecksbeziehung, brach mit der etablierten Theologie und widersprach dem Machtanspruch des „Dritten Reichs“. Der streitbare reformierte Schweizer wird anlässlich seines 50. Todestags mit einem Karl-Barth-Jahr geehrt und als die „jahrzehntelang mutigste Stimme des ­Protestantismus“ gewürdigt.

Der deutsche Protestantismus in Gestalt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) braucht offenbar solche Gedenkjahre, um sich seiner selbst zu vergewissern – und er feiert sie massenhaft. Angesichts des rituell-professionellen Event-Geschehens entsteht jedoch der Eindruck, dass das Streben nach bestmöglichem Marketing für „die gute Sache“ die Inhaltsleere nur noch mühsam verdecken kann. Stehen die Protestanten in Gefahr, Gott mit der Welt zu verwechseln, feiern sie sich für ihre Kulturleistung etwa selbst?

Wo bleiben die Antworten auf die drängenden Fragen der Existenz? Donald Trump lügt, dass sich die Balken biegen. Das weiß die Politik. Das kann Kirche wiederholen, muss sie aber nicht. Wir leben in einer von Autokraten geprägten Zeit. Die sind aber bekannt in Stadt und Land – und ja gewiss: Auch Kirche muss die faschistoiden Deutungsmuster in deutschen Parlamenten in die Schranken weisen. Existenz begründend sind solche politischen Stellungnahmen aber ebenso wenig wie das ständige „Herum-Reformieren“ am eigenen Leib angesichts eines fortwährenden Verlusts an Mitgliedern und Geld sowie sonntäglicher und kirchlicher Beteiligung. Der daraus folgende Bedeutungsverlust ist durch eine übergroße Nähe zur Politik auf Dauer nicht zu kompensieren.

Wenn Kirche vom Wort Gottes lebt und ihren einzigen Grund in Jesus Christus hat, ist das etwas zu wenig in dieser theologielosen Zeit. Kirche braucht eine neue Hinwendung zu ihrer Wissenschaft, zu dem, was Karl Barth meinte, als er schrieb, die Botschaft von Gott sei ein lebendiges und stets neu zu entdeckendes Wort. Dass es darauf ankomme, den unmittelbaren Zusammenhang der heutigen Fragen mit den Fragen des Paulus zu entdecken, sodass seine Antworten die unseren würden. Kirche braucht neue Impulse durch eine neue in die Zeit treffende Theologie.

Ganz im Sinne Karl Barths, der im Sommer 1933 nach der Machtübernahme Adolf Hitlers schrieb: „Das Entscheidende, was ich heute zu diesen Sorgen und Problemen zu sagen versuche, … besteht einfach darin, daß ich mich bemühe, hier in Bonn mit meinen Studenten … nach wie vor und als wäre nichts geschehen – vielleicht in leise erhöhtem Ton, aber ohne direkte Bezugnahme – Theologie und nur Theologie zu treiben.“

Meistgelesene Leitartikel & Kommentare