Die Gesellschaft verliert an Bindung

von Klaus Koch

Klaus Koch

Das bayerische Wahlergebnis müsse sorgfältig analysiert werden. Vertreter nahezu aller Parteien sagten dies nach der Wahl. Auf den ersten Blick sehen die Zahlen tatsächlich überraschend aus. Doch sie sind es nicht. Die großen Wählerwanderungen sind Ausdruck einer seit Jahren anhaltenden Entwicklung: Die klassischen Milieus der Parteien lösen sich auf. Die Menschen haben kaum noch feste Bindungen an ein politisches Lager.

Der moderne Mensch will immer wieder neu und frei entscheiden. Er sucht sich heraus, was ihm gerade gefällt. Heute CDU, morgen Grüne, übermorgen AfD. Alles geht. Wer früher einer Partei nahestand, deren Arbeit ihm gerade nicht passte, wählte sie zähneknirschend dennoch und hoffte auf Besserung. Heute sucht er sich die nächste. Diese Bindungslosigkeit macht allen großen Organisationen zu schaffen. Auch den Kirchen. Längst lösen sich auch bei gläubigen Menschen die Grenzen einer Konfession auf: Hier ein bisschen Esoterik für die Seele, da ein bisschen Papst fürs Soziale und, wenn überhaupt, ein bisschen liberaler Protestantismus für die Sexualmoral.

Weder Parteien noch Kirchen noch andere Großorganisationen werden die Entwicklung hin zu einer Gesellschaft vermeintlich freier Geister, die sich nicht an Hierarchien oder Strukturen binden wollen, aufhalten. Das wirft die Frage auf, was dann letztlich diese Gesellschaft der Individuen zusammenhält, woher Orientierung kommt und wo allgemein gültige Grundprinzipien diskutiert werden. Die sozialen Medien als neue Versammlungsräume und Diskussionsforen können das nicht leisten. Goethes Faust hat sich der Magie verschrieben, damit er erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält. Genützt hat es ihm nichts.

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