Der Überfluss gebiert den Mangel

von Susanne Schröder

Susanne Schröder

Der Dürresommer 2018 hat sich dem Ende zugeneigt. Die Apfelbäume biegen sich, doch viele Früchte bleiben mangels Wasser klein. Die deutschen Landwirte beklagen bei der Getreideernte je nach Sorte Einbußen von bis zu 20 Prozent. Die Ährenkronen an Erntedank sollten rein symbolisch in diesem Jahr kleiner ausfallen.

Dass Verbraucher dennoch nicht vor höheren Preisen zittern, liegt am gewohnten Überfluss: In den Supermärkten gibt es alles, und von allem reichlich. Es ist so viel zu essen da, dass in Deutschland laut WWF (World Wide Fund For Nature) jährlich 18 Millionen (und weltweit 1,6 Milliarden) Tonnen Nahrung im Müll landen. Die gigantische Summe entsteht unter anderem aus vielen Kleinstportionen: hier ein fauler Apfel, da ein paar alte Nudeln. 250 Gramm pro Person und Tag, das klingt nach wenig – und füllt am Ende des Jahres doch 275000 Lastwagenladungen, wie das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft vorrechnet. Also hat man in Berlin die Kampagne „Zu gut für die Tonne“ erdacht, mit Tipps zur richtigen Lagerung und einer App für die Resteverwertung.

Ein guter Service für alle, die ihn wahrnehmen. Schließlich landen rund 40 Prozent der weggeworfenen Nahrungsmittel in den Mülleimern der Privathaushalte. Das bedeutet aber auch: 60 Prozent gehen schon auf dem Acker, im Stall, in Fabrikhallen, in Supermärkten, in der Gastronomie verloren – oft nur, weil sie zu krumm oder schlicht zu viel sind. Die Verbraucher aufzuklären, ist wichtig. Weichen werden anderswo gestellt – und zwar nicht freiwillig.

In Frankreich verbietet ein Gesetz seit zwei Jahren, dass Supermärkte noch essbare Lebensmittel wegwerfen. Tatsächlich disponieren die Geschäfte mittlerweile sorgfältiger, auf die Gefahr hin, dass der Kunde auch mal eine Leerstelle im Regal akzeptieren muss. Alles, was übrig bleibt, verschenken die großen Ketten gezwungenermaßen an das französische Pendant der „Tafeln“, die es in Deutschland bereits seit 25 Jahren gibt.

Worüber sich manche Sozialarbeiter freuen, lässt Umweltaktivisten den Kopf schütteln. Denn jedes Kilogramm Lebensmittel verbraucht Wasser, Boden, Arbeits- und Maschinenkraft – und erzeugt Kohlenstoffdioxid. Die Summe der weggeworfenen Lebensmittel weltweit macht laut einer aktuellen Studie acht Prozent des jährlichen Treibhausgas-Ausstoßes aus – nur für die Tonne.

Und so schließt sich der Kreis: Weggeworfene Lebensmittel sind mitschuldig an Wetterextremen, die zu Missernten führen. Der Überfluss gebiert den Mangel. Die Frage ist am Ende nicht, wie wir diesen Überfluss in der westlichen Welt besser von A nach B verschieben; die Frage ist, warum wir eigentlich ständig mehr produzieren, als wir brauchen.

Die Autorin ist Redakteurin der evangelischen Wochenzeitung für Bayern, die in München erscheint.

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