Demokratie: Israel muss Farbe bekennen

von Hartmut Metzger

Hartmut Metzger

„Und Mose stieg aus den Steppen Moabs auf den Berg Nebo, den Gipfel des Gebirges Pisga, gegenüber Jericho. Und der Herr zeigte ihm das ganze Land: Gilead bis nach Dan und das ganze Naftali und das Land Ephraim und Manasse und das ganze Land Juda bis an das Meer im Westen und das Südland und die Gegend am Jordan, die Ebene von Jericho, der Palmenstadt, bis nach Zoar. Der Herr sprach zu ihm: Dies ist das Land, von dem ich Abraham, Isaak und Jakob geschworen habe: Ich will es deinen Nachkommen geben“ (5. Mose 34, 1–4).

Wer in diesen Tagen vor Ostern des Jahres 2019 auf dem staatlich gepflegten Aussichtspunkt des Bergs Nebo steht, kann sich nur wundern. Er blickt von Jordanien aus auf den Jordangraben und das judäische Bergland in das „gelobte Land“ – bei guter Sicht bis nach Jerusalem, der seit 2000 Jahren geradezu „magischen Stadt“, dem Brennpunkt aktueller politischer Konflikte. Mose starb im Lande Moab „nach dem Wort des Herrn“ und erlebte zeit seines langen Lebens viele Konflikte. Der seit nunmehr 100 Jahren virulente Nahost-Konflikt blieb ihm erspart.

Nun werden die Karten im Nahen Osten neu gemischt. Benjamin Netanyahu schickt sich an, zum fünften Mal Ministerpräsident Israels zu werden. Seine Wiederwahl und das abenteuerliche Agieren des US-Maklers Donald Trump könnten dazu führen, dass der Nahostkonflikt eskaliert: Die völkerrechtswidrige Besatzung Ost-Jerusalems wird seitens der USA anerkannt, Trump richtet dort eine US-Botschaft ein. Netanyahu kündigt an, die Golanhöhen und Teile des Westjordanlandes zu annektieren. Erinnert sich noch jemand an das Geschrei der sogenannten „westlichen Welt“, als Putins Russland sich die Krim einverleibte? Das Westjordanland und Ostjerusalem hat Israel 1967 im Sechstagekrieg erobert. Dort leben inzwischen mehr als 600000 israelische Siedler in mehr als 200 Siedlungen – völkerrechtswidrig, aber die internationale Gemeinschaft schweigt.

Mit der rechtswidrigen Siedlungspolitik ist die Zweistaatenlösung für Israelis und Palästinenser längst gestorben. Rückgängig zu machen ist das nicht. Vielleicht wäre ein Staat für Israelis und Palästinenser eine Chance für den Frieden. Aber dann müsste Israel Farbe bekennen: Wie ernst meint es Israel in Sachen Demokratie, Staatsangehörigkeit und Wahlrecht für Araber inklusive. Das wird sehr schwierig werden. Die Ultraorthodoxie wächst beständig. Das religiöse Jerusalem sieht viele Dinge anders als das säkulare Tel Aviv.

Und da steht man dann, wie weiland Mose auf dem Berg Nebo und fragt sich: Wer oder was hindert diese Menschen daran – ob sie nun jüdisch, christlich oder muslimisch, Palästinenser oder Israelis sind – in diesem „gelobten Land“ in Frieden zu leben? Sie hätten es verdient. Mose hat es mit seinen eigenen Augen gesehen, aber er sollte es nicht mehr betreten dürfen.

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