Das Leben ist besser als sein Ruf

von Klaus Koch

Klaus Koch

Es steht schon in der Bibel: Die Erde ist ein Jammertal. Zum Jahresanfang werden viele Menschen dieser Feststellung zustimmen. Hunger und Kriege, Unrecht, Terror und Klimawandel erschüttern die Welt. Und es wird immer schlimmer. Doch stimmt das wirklich? Natürlich gibt es viele beunruhigende und bedrohliche Gefahren. Doch der 2017 gestorbene schwedische Wissenschaftler Hans Rosling sah die Welt anders. Ein Leben lang lobte er mit Fakten den Fortschritt. Über Jahrzehnte gesehen sind unter anderem die Kindersterblichkeit, die Zahl der von Krieg und Hunger bedrohten Menschen sowie die absolute weltweite Armut zurückgegangen. Weltweit gestiegen hingegen sind im Laufe der Jahre die Zahl der Naturschutzgebiete, die Schulbildung für Mädchen, der Ernteertrag, die Qualität der medizinischen Versorgung und die Zahl der Menschen, die in Demokratien leben.

Doch offensichtlich hören Menschen eher auf schreckliche als auf frohe Botschaften. Berichte über allmähliche Verbesserungen schafften es nur selten auf die Titelseiten, selbst wenn sie eine große Tragweite haben und Millionen Menschen betreffen, stellte Rosling fest. Und das hat nicht zuletzt evolutionäre Gründe. In der Frühzeit des Menschengeschlechts war es wichtig, genau auf Erzählungen zu hören, die von Gefahren berichteten. Überlebenswichtig war das sogar. Das hat sich, obwohl der Einzelne sich gegen die unbestimmten Gefahren der Neuzeit kaum noch selbst wappnen kann, bis heute gehalten.

Dabei gibt es ein Gegenmittel gegen ständige Angst, Verzagtheit und Hoffnungslosigkeit: den christlichen Glauben. Unzählige Male steht die Aufforderung „Fürchtet euch nicht“ in der Bibel. Der Evangelist Matthäus mahnt dazu, sich nicht für morgen zu sorgen, „denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat“. Auch im Vaterunser bitten wir für heute um unser tägliches Brot. Nicht für morgen, übermorgen oder die nächsten Jahre. Ein bisschen mehr Vertrauen, mehr Gottvertrauen würde die Welt nicht schlagartig besser machen, aber doch erträglicher.

Die Kirchen scheinen diesem Aspekt des Christlichen nicht recht zu trauen. Oft und nachdrücklich stimmen sie in das Wehklagen über die Welt ein. Kein Wunder, dass der Philosoph Friedrich Nietzsche urteilte, die Christen müssten erlöster aussehen, wenn er an ihren Erlöser glauben solle. Natürlich ist es die Pflicht der Kirchen, ja aller Christen, für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung die Stimme zu erheben. Aber das können andere Organisationen auch. Deshalb dürfen sie darüber nicht vergessen, für das Seelenheil der Menschen zu sorgen. Das geht am besten, wenn Menschen in Wort und Tat Zuversicht und Freude am Leben zugesagt wird. Denn trotz aller unfroher Botschaften ist das Leben vielerorts in dieser Welt besser als sein Ruf.

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