Christliche Einflüsterer in sozialen Netzwerken

von Stefan Mendling

Stefan Mendling

Die Mitgliederzahl der Kirche sinkt, der Gottesdienstbesuch geht zurück. Die Kirche verliert den Kontakt zu den Menschen, vor allem zu jüngeren. Deshalb will sich die evangelische Kirche stärker dort engagieren, wo sie junge Menschen vermutet: in sozialen Medien. Dorthin schickt sie sogenannte Sinnfluencer. Der Begriff orientiert sich an dem des Influencers. Das sind Menschen, die sich in sozialen Medien ein gewisses Ansehen erworben haben und so andere Menschen beeinflussen wollen, sich mit bestimmten Produkten oder Marken anzufreunden.

Die christlichen Sinnfluencer bieten dem Glauben durch ihre Person eine Bühne – um Anknüpfungspunkte zu schaffen. So machen sie Werbung für die „Marke Kirche“ oder das „Produkt Glaube“. Vor allem aber wollen sie mit Menschen ins Gespräch kommen. Diese Form von Beteiligung, wie sie in den sozialen Medien möglich ist, gehört seit Martin Luther zum Wesen der evangelischen Kirche.

Wenn es darum geht, den Glauben ins Gespräch zu bringen, kann das neue Angebot sinnvoll sein. Schließlich ist es „Auftrag der Kirche, die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk“. Dazu gehört, dort hinzugehen, wo alles Volk ist. Facebook, Instagram und Podcasts haben für viele Menschen hohe Bedeutung. Sie suchen dort Orientierung, Anerkennung, Vorbilder und lebenspraktische Tipps. Nimmt die Kirche ihren Auftrag ernst, muss sie auch dort Orientierung anbieten, Lebenshilfe leisten und Mut machen, über den Glauben zu reden.

Doch die Sache hat einen Haken, dervon Stefan Mendling sich in der Bezeichnung „Influencer“ offenbart: Hier soll Einfluss genommen, Macht ausgeübt werden. Vor solchen „Einflüsterern“ im kirchlichen Umfeld hat schon Dietrich Bonhoeffer 1939 in seinem Buch „Gemeinsames Leben“ gewarnt. Denn solche Menschen pflegten „Macht- und Einflusssphären persönlicher Art“, schreibt er. Auch fromme Menschen könnten dabei in der Absicht, dem Höchsten und Besten zu dienen, in Wahrheit den Heiligen Geist entthronen. „Hier lebt der seelisch Starke sich aus und schafft sich die Bewunderung, die Liebe oder die Furcht des Schwachen.“ Wirkliche christliche Gemeinschaft ist für ihn nicht mit dem beschriebenen „Influencertum“ vereinbar. Das heißt: Es gibt Machtstrukturen in der digitalen Welt, die nicht zu Kirche passen. Allerdings steht auch jeder Pfarrer auf der Kanzel in der Gefahr, Influencer in Bonhoeffers Sinne zu sein.

Sinnfluencer schaffen keine christliche Gemeinschaft. Aber Menschen, die öffentlich über ihren Glauben reden, ob auf Instagram oder wie Paulus auf dem Areopag, sind Türöffner für Kirche. Es macht Sinn, dass die Kirche Mut macht, mehr über den Glauben zu reden. Sie ist damit spät dran. Denn alle Getauften sind zu Priestern geweiht, sagt der frühe Influencer Martin Luther. Und damit sind sie überall zur Weitergabe des Evangeliums aufgerufen. Auch im Internet.

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