Brexit zeigt Nachteile direkter Demokratie auf

von Klaus Koch

Klaus Koch

Die altehrwürdige britische Demokratie ist in der Krise. Am Brexit beißen sich die Parlamentarier die Zähne aus. Es finden sich Mehrheiten gegen alle denkbaren Lösungen, nur keine für etwas. Dabei ist das britische Wahlrecht ein Garant für konstruktive Mehrheiten. In Großbritannien gibt es nur direkt gewählte Abgeordnete. Wer in einem Wahlkreis die relative Mehrheit der Stimmen erhält, zieht ins Parlament ein. Die anderen Stimmen fallen unter den Tisch. Das führt dazu, dass entweder die konservativen Torrys eine Mehrheit haben oder die sozialdemokratische Labourpartei.

Doch das Referendum über den EU-Austritt des Landes hat alles geändert. Ausgerechnet eine Bürgerbefragung führte zum Chaos. Dabei gilt vielen Parteien in vielen Ländern mehr Bürgerbeteiligung als ein Königsweg zur Stärkung der Demokratie. Der mündige Bürger nimmt sein Schicksal selbst in die Hand, ist nicht länger „denen da oben“ ausgeliefert. Das wachsende Misstrauen gegen Politiker und Politikbetrieb lässt direkte Demokratie als Ausweg erscheinen.

Und es spricht ja auch wenig dagegen, die Bürger über kommunale Haushalte, Flächennutzungspläne oder die lokale Verkehrsführung mitentscheiden zu lassen. Menschen sollten in dem Gemeinwesen, in dem sie leben, einbezogen werden. Schließlich kennen sie sich dort aus, sind Experten des Lokalen. Doch die Expertise des Einzelnen hat Grenzen, er kann nicht jedes politische Problem so durchdenken, dass er in jedem Einzelfall zu einer verantwortbaren Entscheidung fähig ist.

Daher ist es vernünftig, dass Parteien bei der Meinungsbildung mitwirken. Vor Wahlen stellen sie klar, wofür sie stehen: mehr Marktwirtschaft oder mehr staatlicher Einfluss, mehr Militär oder weniger Auslandseinsätze, mehr innere Sicherheit oder ein durch und durch liberaler Staat. Oder eben mehr oder weniger europäische Gemeinsamkeiten. Die Wähler verhelfen so einer Richtung zur Mehrheit, die Ausgestaltung überlassen sie Experten. Nach einer Legislaturperiode wechseln sie diese aus, wenn sie nicht gut genug gearbeitet haben.

Hinzu kommt, dass Bürgerentscheiden ein für die Demokratie wesentliches Merkmal fehlt: das Mandat zum Kompromiss. Die Briten konnten wählen, ob sie in der EU bleiben oder raus wollen. Das war’s. Welche Reformen der EU sie im Falle eines Verbleibs wollen und welche Vorgaben sie im Falle eines Austritts akzeptieren, weiß keiner der britischen Abgeordneten, die gerade ihr bewährtes politisches System demontieren. Anders, als Populisten den Menschen weismachen wollen, besteht gute Politik nicht immer aus einem klaren Ja oder Nein. Demokratie funktioniert langfristig nur, wenn möglichst viele Interessen möglichst fair ausgeglichen werden. Dazu hat die repräsentative Demokratie und nicht die direkte die besten Instrumente. Der Brexit macht das gerade schmerzhaft deutlich.

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