Wohltätig und nützlich auch für die Nachkommen

Zahl der lokalen Kirchenunionen in der Pfalz höher als angenommen – 80 Zusammenschlüsse zwischen Oktober 1817 und März 1818

Alte Zahlen zu Lokalunionen widerlegt: Christine Lauer hat die Akten im landeskirchlichen Archiv durchforstet. Foto: Landry

Gelegentlich sind vermeintliche Fakten in der Geschichtsschreibung auch dann langlebig, wenn sie falsch sind. In den landeskirchlichen „Informationen“ zum 200. Jahrestag der pfälzischen Kirchenunion ist von 25 Gemeinden die Rede, in denen es bereits Ende 1817, Anfang 1818 zu Lokalunionen gekommen sei, also zu freiwilligen Zusammenschlüssen der reformierten und lutherischen Gemeinden. Immer wieder taucht diese Zahl anlässlich des Unionsthemas auf.

Dabei zeigt eine Karte in den „Zeitbildern“, einer 1999 im Evangelischen Presseverlag Pfalz erschienenen Geschichte der Landeskirche von der Reformation bis zur Gegenwart, bereits über 60 Gemeinden, die sich vor dem offiziellen Datum der Kirchenunion im August 1818 zusammengeschlossen haben. Doch auch diese Zahl ist falsch.

Sie habe schon lange Zweifel gehabt an den Zahlen, die über die Lokalunionen im Umlauf sind, sagt Christine Lauer vom Zentralarchiv der Landeskirche. Also hat sich die Diplomarchivarin durch die Akten gearbeitet und kommt auf insgesamt 80 Unionen von Oktober 1817 bis März 1818. Nach Lauers Erkenntnissen fand die erste Lokalunion am 23. Oktober 2017 in Speyer statt. Also noch vor den Feiern zum 300. Reformationsjubiläum, die als ein Anlass für die Unionsbewegung in der Pfalz gelten. Zwar gab es in Lambrecht bereits 1805 eine Union, doch die lässt die Archivarin nicht gelten. In Lambrecht schlossen sich Lutheraner und Reformierte keineswegs friedlich zusammen. Sie stritten sich vielmehr so arg, dass der Speyerer Unterpräfekt einschritt und die Union kurzerhand verordnete.

Eine besondere Sogwirkung muss die Union in Bergzabern im Dezember 1817 gehabt haben. In zahlreichen Akten wird diese Union als „rühmliches Beispiel“ aufgeführt, an dem sich andere Orte orientierten. Meist gaben wohl die Pfarrer den entscheidenden Impuls für den Zusammenschluss, aber auch weltliche Würdenträger wurden aktiv. In der Akte zur Union in der Gemeinde Käshofen in der Inspektion Zweibrücken etwa ist ausdrücklich erwähnt, dass die Erklärung des Bürgermeisters, wie „wohltätig und nützlich die Vereinigung der beiden protestantischen Religionsparteien für uns ist und für unsere Nachkommen sein wird“, den Ausschlag für die Union gab.

Die Unionserklärungen, die die Gemeinden ans Konsistorium nach Speyer schickten, waren manchmal nur von den Presbytern, ein andermal von allen Gemeindemitgliedern unterschrieben. Besonders genau nahmen es die Protestanten in Ernstweiler. Sie schickten nach der Erklärung zur Union im November 1817 im April 1818 eine weitere Liste nach Speyer. Darauf waren die 25 Gemeindemitglieder aufgelistet, die die erste Erklärung nicht unterschrieben hatten. Und das mit Begründung: „Kirchliche Angelegenheiten liegen diesem Mann nicht am Herzen“, heißt es hinter einem Namen. „Will bleiben, was er ist“, hinter einem anderen.

Nach Unterlagen des Archivs gab es vor der ersten Union in der Pfalz 123 lutherische und 127 reformierte Gemeinden. Nach den Unionen seien die Grenzen der Gemeinden neu geordnet worden, sagt Lauer. Pfarrer habe es nach 1818 nicht zu viele gegeben, schließlich sei die Zahl der Gemeindemitglieder gleich geblieben. Dennoch hat die Union einen Pfarrer den Job gekostet. Christian Friedrich Schmid in Kleinfischlingen stellte sich gegen die Veränderungen und wurde kurzerhand „wegen Nichtannahme der Union abgesetzt“.

Anders als mit den Pfarrern verhielt es sich mit den Kirchen. Hiervon gab es zu viele. Manche waren auch zu klein, um alle ehemaligen Lutheraner und Reformierte zu fassen. Also sei profanisiert, verkauft, angebaut oder abgerissen worden, sagt Lauer. Immer wieder taucht in den Akten die Formulierung „auf Abriss versteigert“ auf. Besonders hart traf es eine Kirche in Klingenmünster. Sie war erst 1782 gebaut worden. Nach 1818 wurde sie nicht mehr gebraucht und 1830 abgerissen. In Niederkirchen am Potzberg waren sowohl die lutherische Kirche als auch die reformierte für die neue Gemeinde zu klein. Sie wurden beide 1824 abgerissen, als eine neu gebaute in Dienst gestellt wurde. Sie wird bis heute genutzt. Klaus Koch

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